Zen und die Kunst des Zuhörens

Thich Nhat Hanh war einer der wichtigsten Botschafter fernöstlicher Weisheit, Meditationslehrer, Poet und Friedensaktivist. Im Januar ist er in einem vietnamesischen Kloster gestorben. Seine Texte sind heute aktueller denn je.

Wenn man den Planeten retten und die Gesellschaft verändern will, braucht man Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit; man braucht Zusammengehörigkeit. Wann immer wir über die Umwelt oder über Frieden und soziale Gerechtigkeit sprechen, reden wir gewöhnlich von gewaltfreien Aktionen oder technologischen Lösungen und vergessen dabei, dass ein entscheidender Faktor die Zusammenarbeit ist. Ohne sie können wir nichts tun; wir können unseren Planeten nicht retten.

Technische Lösungen müssen durch ein Miteinander, durch Verstehen und Mitgefühl unterstützt werden. Um zusammenzuarbeiten, sollten wir wissen, wie wir zuhören und mit Geschick sprechen, wie wir eine abgebrochene Kommunikation wieder in Gang setzen und unseren Austausch erleichtern können, damit wir imstande sind, uns mit uns selbst und anderen zu verständigen.

Gute Kommunikation ermöglicht Mitgefühl

Wir mögen viel guten Willen haben, um zusammenzukommen, die Situation zu analysieren, Pläne zu machen und Maßnahmen zu ergreifen. Aber wenn wir uns nicht einigen können, wenn wir nur miteinander streiten, wird unsere Organisation zerfallen. Wissen wir uns nicht gegenseitig zu helfen oder zuzuhören, werden wir wütend und spalten uns. Die Wiederherstellung der Kommunikation ist eine dringliche Aufgabe. Eine gute Kommunikation ermöglicht Harmonie, Verständnis und Mitgefühl zwischen Einzelnen, verschiedenen Gruppen und sogar Nationen. Unsere Regierungsvertreter müssen sich über die Gefahr austauschen, die unserem Planeten droht. Für gegnerische Parteien ist die Praxis des tiefen Zuhörens und des geschickten, mitfühlenden Sprechens so wichtig, um Einsichten und Ideen auszutauschen und echte verständnisvolle menschliche Beziehungen herzustellen.

Die Praxis des Zuhörens

Politische Führungspersönlichkeiten und Regierungsverantwortliche müssen sich in der Kunst des tiefen Zuhörens üben: Sie müssen dem eigenen Volk zuhören, dem Leiden in ihrem eigenen Land und dem Leiden anderer Nationen. Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihr Leid nicht gehört und verstanden wird. Unsere Gesellschaften sind tief gespalten. Wir bringen uns gegenseitig um, und es gibt Angst, Wut, Diskriminierung und Verzweiflung, weil wir – als Menschheit – nicht genügend miteinander kommunizieren.
Wir bringen nicht nur andere Arten um, sondern wir töten uns auch selbst als Spezies. Und deshalb müssen wir lernen, wie wir tief zuhören können, damit jeder von uns auch sein Zuhören und Mitgefühl einbringen kann. Wenn andere auf tadelnde, urteilende Weise mit uns sprechen, kann uns das irritieren, wütend machen oder Frustration auslösen. Wir brauchen also mehr als nur die Absicht zuzuhören: Wir müssen es erlernen. Wenn wir die Tür unseres Herzens öffnen und die Kommunikation in unseren nahen Beziehungen verbessern, werden wir in der Lage sein, dasselbe an unserem Arbeitsplatz, in der Gesellschaft und zwischen verschiedenen politischen Parteien und Nationen zu schaffen. Hören wir der anderen Seite tief zu, erkennen wir nicht nur ihre falschen Wahrnehmungen, sondern auch unsere eigenen. Aus diesem Grund sind achtsamer Dialog und achtsame Kommunikation so wichtig. Die Praxis des tiefen Zuhörens und liebevollen Sprechens kann helfen, die falschen Wahrnehmungen zu beseitigen, welche die Grundlage für Angst, Hass und Gewalt sind. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass unsere politische Führung solche Instrumentarien nutzt, um sich selbst und der Welt Frieden zu bringen.

Zum Weiterlesen: Thich Nhat Hanh, Zen und die Kunst, die Welt zu retten, Integral Verlag

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe bewusster leben 4/2022


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