Beim Wandern lassen wir uns ganz auf unsere Umgebung, das Wetter und uns selbst ein. So können wir im Hier und Jetzt des einfachen Gehens ein stilles Glück erfahren. Zen lehrt genau das.
Wer kennt das nicht: Man hat sich auf den Spaziergang, auf die Wanderung gefreut – und dann beginnt es zu regnen, es zeigt sich, dass man das falsche Schuhwerk gewählt hat, es kommt zum Streit mit den Weggefährten über den richtigen Weg, schließlich stellt man fest, dass man eine Abzweigung verpasst hat und kommt in die Nacht … Ein andermal scheint alles zu passen: Das Wetter könnte nicht besser sein, die Menschen, mit denen man unterwegs ist, sind gut aufgelegt, man schafft den Gipfel – aber das erwartete Gipfelglück will sich nicht einstellen.
Das Zen des Gehens
Zen sagt uns, dass es, um glücklich zu sein, nicht so sehr darauf ankommt, was uns umgibt, was um einen herum vorgeht, was man sieht und wahrnimmt und erlebt, sondern wie man etwas erlebt, sieht und wahrnimmt, wie es also um einen selber steht, was in einem selber vorgeht. Wie die äußeren Umstände sich uns darstellen, haben wir meist nicht in der Hand. Aber in welcher Stimmung und Bewusstheit wir selber sind und wie unsere Beziehung zur Umgebung ist, das liegt bei uns.
Sicher fällt es uns leichter, uns glücklich zu fühlen, wenn alles rundherum passt, das Wetter, die Landschaft, die Gefährten. Aber wenn wir in niedergedrückter Stimmung sind, wenn uns ein Ärger zu schaffen macht, dann können wir selbst das Glitzern der Tautropfen in der Morgensonne, die vielen Blumen um uns herum oder das Blühen der Bäume nicht mehr genießen. Auf die eigene Einstellung kommt es an. Erst wenn Äußeres und Inneres zusammenkommen und Einklang entsteht, erhält alles, was man erlebt und tut, Sinn und Bedeutung. Drei Schritte helfen uns, Glück und Frieden beim Gehen und Wandern zu erfahren.
I. Sehen, was ist und wie es ist
Zen lehrt uns das unmittelbare Sehen und Wahrnehmen. Das unmittelbare Schauen ist ein ursprüngliches Wahrnehmen, noch bevor sich die Gedanken einstellen. Unmittelbares Wahrnehmen meint ein Wahrnehmen, bei dem nichts zwischen den Schauenden und das Wahrgenommene tritt; das den Blick nicht durch Voreingenommenheit und Absichten trübt. Denn Gedanken, Vorstellungen und das Fixiertsein auf ein zu erreichendes Ziel engen uns ein und verhindern die volle Freiheit und Offenheit. Alles hängt davon ab, in welchem Bewusstsein wir uns auf den Weg machen. Ein frei schwebendes Bewusstsein öffnet unseren Blick. Der weise Daoist Dschuang Dsi spricht von einem „freien und unbeschwerten Umherstreifen“, das nicht nach einem Nutzen fragt. Es ist ein Umherwandern „ohne Warum“. Wer ohne bestimmte Absicht und ohne festes Ziel durch die Gegend wandert, nimmt wahr, was er sieht und was sich zeigt, anstatt nur das zu sehen, was man „gesehen haben muss“ oder was „sehenswürdig“ ist.
Ermin Döll/Marcus Hillinger
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