Wenn die Seele leidet

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Depression, Angststörung und Burnout sind heutzutage als psychische Erkrankungen weit verbreitet. Etliche Menschen können sich darin wiederfinden, doch kaum einer spricht darüber. Wir wollen das ändern und fragen die Diplom Psychologin Janina Rogoll, wann eine psychische Erkrankung beginnt, wie eine Therapie aussehen kann und was wir selbst präventiv für unser seelisches Wohlbefinden tun können.

Frau Rogoll, ist es nicht so, dass sich jeder einmal niedergeschlagen fühlt und von Selbstzweifeln oder übertriebenen Ängsten geplagt wird? Was ist noch ‚normal‘ und wo beginnt eine psychische Erkrankung?
Ein psychisch erkrankter Mensch ist durch seine Gefühle, die körperlichen Begleiterscheinungen (z. B. Müdigkeit und Energielosigkeit) und die eigenen Gedanken und Sorgen stark eingeschränkt. Dann ist er vielleicht kaum noch oder gar nicht mehr in der Lage zu arbeiten oder am Leben teilzunehmen. Ebenfalls typisch ist, dass er seinen Aufgaben innerhalb der Familie oder bei nahen Bezugspersonen nicht mehr nachkommen kann. Auch andere wichtige Dinge wie das Kümmern um die Finanzen kosten zu viel Kraft und bleiben daher liegen. Bestehen solche Phasen über längere Zeit oder wiederholen sich häufig, so liegt mit einer großen Wahrscheinlichkeit eine psychische Erkrankung vor, die es mit professioneller Hilfe abzuklären gilt.

Was sind die häufigsten ­psychischen Erkrankungen?
Nach einer Studie der WHO leidet weltweit jeder vierte Arztbesucher an einer psychischen Erkrankung. Allein in Deutschland macht rund zehn Prozent der Bevölkerung eine behandlungsbedürftige, psychische Krankheit zu schaffen. Sie ist nach neuesten Berichten der Krankenkassen der weitverbreitetste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Die häufigsten psychischen Erkrankungen sind Angsterkrankungen, Depressionen und Suchterkrankungen.

Was sind die Ursachen für eine psychische Erkrankung?
Wir gehen bei fast allen psychischen Erkrankungen von einem Stress-Vulnerabilitätsmodel aus, d.h. Stress und belastende Ereignisse treffen zusammen mit einer genetisch begründeten Vulnerabilität, d. h. Empfänglichkeit, eine bestimmte psychische Erkrankung zu entwickeln.

Wie entstehen psychische ­Erkrankungen?
Damit eine Erkrankung tatsächlich auftritt, braucht es eine oder mehrere belastende Bedingungen. Dazu gehören Einsamkeit, ständige Konflikte im Beruf oder körperliche Erkrankungen. Treffen solche Stressfaktoren bei uns auf ‚empfindliche Seiten‘ kann dies der Auslöser für den Beginn oder das Andauern einer psychischen Erkrankung sein. Je höher die Ähnlichkeit des oder der auslösenden Faktoren mit der Art unserer Verletzbarkeit ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine entsprechende Krankheit daraus entstehen kann. So wird z. B. eine ängstliche Person auf eine bedrohliche Situation mit betrunkenen Jugendlichen möglicherweise mit einer später auftretenden Angststörung reagieren.

Was sind die größten ­Krankmacher?
Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen die Gemeinschaft mit anderen, sind sogar ‚abhängig‘ von ihnen. Jeder spürt das Bedürfnis nach Nähe, Zugehörigkeit und Aufwertung. Es trägt zu unserem Wohlbefinden und zur Erhaltung unserer Gesundheit bei. Der größte Krankmacher sind zermürbende oder gar toxische Beziehungen. Typisch für diese sind extreme emotionale Hochs und Tiefs, Nähe und Kälte, aber auch ständige Schuldzuweisungen oder Mani­pulationen. Der zweite größte Krankmacher ist Einsamkeit. Für die meisten von uns wird das Gefühl, allein zu sein, auf Dauer zur extremen Belastung. Aber auch Ungerechtigkeit, Armut, Gewalt können, ebenso wie chronische körperliche Erkrankungen oder Bewegungsmangel, an der Entstehung von psychischen Erkrankungen ganz wesentlich beteiligt sein.

Wo setzt eine Behandlung an?
Ein wichtiger Faktor auf dem Weg zu einer guten Behandlung ist der Blick darauf, was die Krankheit ‚am Leben‘ erhält. Hier sind die Quelle und die Erklärung im Menschen selbst. Wenn wir eine psychische Erkrankung betrachten, sehen wir uns immer vier wesentliche Aspekte an und die Art und Weise, was die Krankheit nährt. Dies sind immer körperliche Faktoren, Gedanken, Handeln und Verhalten sowie Gefühle. Sowohl ein ‚normales‘ als auch ein krankhaftes Erleben und Verhalten kann mit diesen vier Faktoren beschrieben und in der Regel auch erklärt werden.

Zum Weiterlesen: Andreas Ströhle, Janina Rogoll, Thomas Fydrich, Die Seelen-Docs, Was Sie über psychische Gesundheit und Krankheit wissen sollten, Verlag Knaur MensSana, 24 Euro

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 2/2023

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