Resilienz ist die Fähigkeit und Bereitschaft, mit dem Leben zu kooperieren. Doch was genau meint das? Von Viviane Dittmar
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts befasst sich die positive Psychologie mit der faszinierenden Frage, warum manche Menschen trotz sehr widriger Umstände erstaunlich gut durchs Leben kommen, während andere auch an deutlich geringeren Herausforderungen zu zerbrechen drohen. Zahlreiche Studien zu dem Thema kamen letztlich zu dem Schluss, dass die Unterstützung, die ein Mensch hat, um mit schwierigen Situationen klarzukommen, ausschlaggebend ist für seine Resilienz.
Das galt für die Kinder der so genannten Boat People, die nach dem Vietnamkrieg über das Meer flohen, unter anderem in den USA aufgenommen wurden und dort durch ihre hohe Lebenstüchtigkeit auffielen. Das gilt genauso für die Kinder zerrütteter Familien, die jedoch irgendwo zumindest einen Menschen fanden, mit dem sie eine gesunde Bindung aufbauen konnten – und dazu auch in der Lage waren.
Denn es ist natürlich nicht allein die Umgebung, die einen Menschen resilient macht oder eben nicht. Es ist die Fähigkeit dieses Menschen, mit dieser Umgebung in Beziehung zu treten. So werden resiliente Kinder als besonders zugänglich, vertrauensvoll und wenig aggressiv beschrieben. Sie tendieren dazu, mit Bezugspersonen zu kooperieren. Und sie suchen aktiv Zuwendung und emotionale Unterstützung, wenn sie diese brauchen. Auch das Bild, resiliente Kinder seien besonders hart im Nehmen, trifft laut der Forschung nicht zu. Im Gegenteil: Resiliente Kinder sind emotionaler als nicht resiliente Kinder und sie sprechen offener über ihre Gefühle.
Resilienz und emotionale Regulation
Es ist also ein Irrglaube zu meinen, weniger Emotionalität bedeute automatisch eine höhere Resilienz. Umgekehrt stimmt es aber auch nicht: Menschen, die bei jeder Kleinigkeit die Fassung verlieren, können wohl kaum als resilient bezeichnet werden. Die Fähigkeit, sich selbst emotional zu regulieren ist ein Kernmerkmal von Resilienz. Und genau hier liegt die Crux: Emotionale Regulation bedeutet eben nicht, keine Gefühle zu haben oder sie einfach wegzudrücken, sondern mit ihnen gut umzugehen. Aber was genau heißt das?
Diese Frage beschäftigte mich viele Jahre und das hatte gute Gründe. Um es geradeheraus zu sagen: Es gab Zeiten in meinem Leben, da war ich ein echtes Nervenbündel. Kleinigkeiten genügten, um mich völlig aus der Bahn zu werfen – Orte, Gerüche, Gesten, ein falsches Wort und meine Innenwelt entgleiste. Heute, zwanzig Jahre später, ist alles anders. Es gibt wenig, was mich noch aus der Ruhe bringen kann, obwohl ich immer noch ein hochsensibler Mensch mit starken Gefühlen bin. Doch es handelt sich um gesunde Gefühle, die mich dabei unterstützen mit mir selbst, meinen Mitmenschen und meiner Umgebung in Kontakt zu sein, statt mich davon abzutrennen. Dazwischen lag eine Reise der Selbstheilung, die viel länger dauerte als notwendig, da mir niemand sagen konnte, wie emotionale Heilung eigentlich geht und wofür Gefühle eigentlich da sind. Deshalb entwickelte ich den Gefühlskompass, um anderen diese Reise zu erleichtern.
Zum Weiterlesen: Vivian Dittmar, Gefühle & Emotionen – Eine Gebrauchsanweisung, edition est, 17,50 Euro
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(März/April 2022)