Und täglich grüßt das Faultier

Ein guter Vorsatz hat im Leben von Lea Blumenthal etwa die Halbwertszeit einer Packung Kinderschokolade. Deshalb macht sie jetzt Schluss mit der Selbstoptimierung. Ein Hoch auf die Bequemlichkeit!

Ich schlage ein neues Kapitel auf. Und zwar in vielerlei Hinsicht. Das neue Jahr ist erst ein paar Tage alt, der Silvesterkater ist verklungen, und ich schwelge in der Gewissheit, dass dieses Mal alles anders wird. Mit „anders“ meine ich: besser.
Ich war heute Vormittag in einer Buchhandlung und habe mir einen nigelnagelneuen Kalender besorgt, in den ich meine großartigen Pläne und To-Do-Listen für das kommende Jahr eintragen kann. Ein neues Filofax ist wie ein neues Leben, denke ich, und habe mir gleich noch ein paar hübsche Stifte mitgenommen, mit denen ich meinen gebundenen Lebensplaner in den kommenden zwölf Monaten befüllen werde. Natürlich hat jede Farbe eine andere Bedeutung, und natürlich werde ich in spätestens drei Tagen mit allem Möglichen in dem Kalender rumkritzeln, nur nicht mit den extra dafür gekauften Stiften, weil die irgendwo rumfliegen, eingetrocknet sind oder vom Hund gefressen wurden. Alles ist möglich, und ein guter Vorsatz hat in meinem Leben etwa die Halbwertszeit einer Packung Kinderschokolade. Im Schnitt also dreißig Minuten, optimistisch gerechnet.

Morgen fang ich an. Versprochen!

Aber nein, halt! Ich mach ja ab jetzt alles anders. Ich werde organisiert und strukturiert sein, ganzheitlich entspannt und mental ausgependelt, mit niedrigem Cholesterinwert und höchster Lebenszufriedenheit. Zumindest ist das der Plan. Und jeder Plan beginnt mit dem ersten Schritt, in meinem Fall einem Kalender und verschiedenfarbigen Glitzerstiften.

Ich nehme die Kappe vom blauen Fasermaler ab und lasse die Spitze über der leeren Seite schweben. Als ich im alten Jahr über meine Vorsätze für das neue Jahr nachdachte, fiel es mir ausgesprochen leicht, auf eine hübsche Sammlung zu kommen. Die Hose kniff von der Weihnachtsschlemmerei, die Leber entsandte Mayday-Rufe in Richtung präfrontalen Kortex, das Bankkonto war erschreckend leer, und der Berg, auf dem ich mein schlechtes Gewissen einzahle, beeindruckend hoch. Weil ich wieder ein Jahr hatte verstreichen lassen, in dem ich nicht mit einer Sportart begonnen, die Steuererklärung innerhalb der Frist gemacht und so regelmäßig meditiert hatte, dass ich bei den wenigen Versuchen nicht permanent eingeschlafen bin.

Doch nun, in diesem Moment, in dem ich hier sitze und all die Dinge, die ich mir vorgenommen habe, zu Papier bringen möchte, ist mein Hirn wie leergefegt. Ich krame in den grauen Zellen, bringe ein paar Synapsen dazu, kurz aufzuflackern wie altersschwache Glühbirnen, aber die konkreten Vorsätze für ein athletisches, bewusstes, fettreduziertes neues Jahr wollen sich einfach nicht einstellen. Das fängt ja gut an.

Irgendwas ist hier faul – oh, das bin ja ich

Ein Schnarchen erklingt und reißt mich aus den Grübeleien. Ich wende den Kopf nach links. Auf dem Sofa, über zwei Sitzkissen und die Armlehne ausgebreitet, oder eher: ausgegossen, liegt das Faultier. Es liegt natürlich nicht wirklich da. In Deutschland ist es nämlich nicht erlaubt, Faultiere in der Wohnung zu halten. Aber trotz der strengen Auflagen des Veterinäramts ist mein Faultier ein respektables Mitglied dieser Wohngemeinschaft, in der ich mit Boris und dem gemeinsamen Hund in gewöhnlich friedlicher Stimmung koexistiere.
Einer der Arme des Faultiers rutscht langsam über seinen runden, behaarten Bauch nach unten und gleitet zu Boden. Das Faultier hebt in Zeitlupe ein Augenlid, blickt dem Arm hinterher, grunzt und gähnt so ausgiebig, dass ich hinten am Gaumen sein Zäpfchen baumeln sehe.

Kognitive Dissonanz: Wenn Anspruch und Antrieb kollidieren

„Kannst du nicht irgendwo anders abhängen?“, pflaume ich das Faultier an, dessen bloße Anwesenheit die allerletzten Krümel meiner Motivation in seine atomaren Bestandteile zerfallen lässt.
„Wieso?“, murmelt es, ohne sich die Mühe zu machen, in meine Richtung zu blicken. „Jetzt haben wir uns doch gerade aneinander gewöhnt.“
Dann schmatzt es, dreht sich auf den Bauch und setzt, durch den offenen Mund schnarchend, seinen Nap fort.
Lea Blumenthal

Zum Weiterlesen: Lea Blumenthal, Das Leben ist zu kurz für diesen Scheiß, Droemer Knaur Verlag, 16 Euro

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 1/2024

Diesen Artikel teilen

Weitere Beiträge

Don’t worry!

Aus allem, was uns die großen Meister des Zen-Buddhismus sagen, spricht Ruhe und Gelassenheit. Wir haben sieben Weisheiten für ein sorgloses Leben zusammengestellt.

Diesen Artikel teilen

Gute Gefühle

Positive Emotionen festigen langfristig unser Wohlbefinden, öffnen Herz und Verstand und steigern unsere Leistungsfähigkeit. Wir können sie ganz bewusst zu uns einladen.

Diesen Artikel teilen

Folge dem Weg deines Herzens

Wir sprechen mit der aus Russland stammenden Bestsellerautorin Jana Haas über glückliche Partnerschaften, gelingende Neuanfänge, Botschaften aus der geistigen Welt, ihre eigene Hellsichtigkeit und über das, was uns das Wichtigste im Lebensein sollte.

Diesen Artikel teilen

Schreiben Sie einen Kommentar