In einer lauten Welt, in der wir ständig kommunizieren, unzähligen Reizen ausgesetzt sind und Stress allgegenwärtig ist, bleibt oft keine Zeit für die Stille. Dabei sind regelmäßige Auszeiten für unser Wohlbefinden essenziell
Ein hoher Geräuschpegel gilt als unvermeidbare Begleiterscheinung der heutigen Informations- und Mobilitätsgesellschaft. Autos, Lastwagen, Züge, Flugzeuge, Baumaschinen, Schlagbohrer, Rasenmäher. Ein steter Strom aus lauten, oft auch aufdringlichen Geräuschquellen rundum. Und immer ist etwas am Laufen – sei es der Computer, der Kopierer, das Radio, der Fernseher, ein CD-Player. Oder irgendein anderes Gerät, das vor sich hinlärmt: Telefonklingeln, einlaufende E-Mails, SMS- und WhatsApp-Nachrichten, aufploppende Push-Informationen, alle möglichen Musikfetzen. Radiowerbung wird gebrüllt und gekreischt statt gesprochen. Alarmanlagen schrillen und dazu die Endlos-Kolonnen von Fahrzeugen, die sich durch die Straßen wälzen.
Es klickt, brummt, summt, klingelt, läutet – überall
Die meisten von uns leben und arbeiten in Umgebungen, die von einem Durcheinander an Geräuschen dominiert wird.
Lärm ist per Definition „unerwünschter Schall“, und dieser muss nicht einmal besonders laut sein, um zu stören. Kennzeichnend ist das „unerwünscht“: etwas Erzwungenes, dem man sich nicht freiwillig aussetzen würde. Dagegen können wir uns oft nicht wehren. Wir haben zwar Augenlider, die wir schließen können, wenn wir etwas nicht sehen wollen, aber keine Ohrlider, die uns dabei helfen, Geräusche auszublenden. Die meisten Laute und Geräusche, die täglich an unsere Ohren dringen, nehmen wir quasi „im Vorbeigehen“ wahr, meinen, uns daran gewöhnt zu haben. Und doch haben wir alle – bewusst oder unbewusst – unsere ganz persönlichen Lärm-„Hitlisten“ für Geräusche, die uns besonders nerven. Für mich liegt auf Platz eins des unangenehmsten Lärms das Kreischen der Räder bei der Fahrt durch einen bestimmten S-Bahn-Tunnel. Auf Platz zwei folgen dann gleich Baumaschinen, Motorsägen und Rasenmäher. Platz drei: laut gespielte Musik, von der ich kein Fan bin. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Unser Hörsinn ist ein wahres Wunder
Es ist wichtig, ihn uns zu erhalten und uns unerwünschtem Schall zu entziehen, wann immer es möglich ist. Neben dem Sehsinn ist der Hörsinn der zweitwichtigste Sinneskanal, der uns hilft, uns zu orientieren. Er ist von allen fünf Sinnen der differenzierteste. So nehmen unsere Ohren Töne in vielfacher Weise wahr. Sie orten, wo in der Umgebung sich die Geräuschquelle befindet und unterscheiden sofort zwischen hohen Tönen und tiefen Tönen und auch zwischen laut und leise. Die Ohren sind sensibler und erfassen Reize exakter als die Augen. Das Hören können wir – im Gegensatz zum Sehen – nicht „abschalten“. Natürlich können wir uns die Ohren zuhalten, doch es wird trotzdem nicht so still wie es dunkel wird, wenn wir die Augenlider schließen. Wie gesagt: Wir verfügen über keine Ohrlider. Ob freiwillig oder unfreiwillig: Geräuschen sind wir stärker ausgesetzt als optischen Reizen. Ab wann oder wodurch wir etwas als Lärmbelästigung empfinden, ist sehr subjektiv und hängt auch von der Situation ab, in der wir uns befinden. Wir können beispielsweise den persönlichen Lieblingssong bei Höchstlautstärke hören und uns dabei glücklich und beschwingt fühlen – während der gleiche Song für den Nachbarn nebenan einfach nur ein nervtötendes Getöse dar-stellt. Und umgekehrt.
Es tut uns sehr gut, häufiger mal Stille zu erleben
Doch jenseits davon, ob wir Geräusche als angenehm oder unangenehm empfinden: Es tut uns ganz allgemein sehr gut, häufiger mal Stille zu erleben. Experten sind überzeugt davon, dass wir eine Welt brauchen, in der sich Geräuschvielfalt und Stille abwechseln. Dabei geht es nicht um die perfekte Geräuschlosigkeit, so wie sie für schalldichte Räume typisch ist, sondern um eine Umgebung, in der wir nur wenige leise und durchweg als angenehm empfundene Geräusche wahrnehmen.
Wo beginnt die Stille?
Strenggenommen beginnt Stille da, wo das Hörvermögen an seine Grenzen kommt. In Zeiten allgegenwärtigen Umgebungslärms ist Stille für Körper, Geist und Seele besonders erholsam, unterstützt uns dabei, innezu-halten, und uns zu beruhigen. Sie hilft uns, Abstand zu finden und dabei auch Sorgen und Probleme ein Stückweit loszulassen. Unser Gehirn kann die Abwesenheit von Geräuschen gut gebrauchen: Ständige Reize sind eine Belastung für den gesamten Organismus, aber vor allem auch für den präfrontalen Kortex, mit dessen Hilfe wir Prioritäten setzen, Probleme lösen und Entscheidungen treffen. Außerdem aktiviert das Hirn beim Entspannen in der Stille sein „default mode network“ (Gehirnregionen, die im Ruhezustand aktiv werden). Dies besteht aus einer ganzen Reihe von Arealen im Gehirn, die genau dann aktiviert werden, wenn es still um uns herum wird, d. h. es kaum Reize von außen gibt, wir also einfach nur da sind, meditieren oder unsere Gedanken absichtslos fließen lassen. Die Folge: Wir können äußeren und inneren Druck loslassen, wir erholen uns, kommen in unseren inneren Fluss, werden kreativer und fokussierter.
Sigrid Engelbrecht
Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 6/2022
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