Im eigenen Tempo unterwegs sein. Intensiv wahrnehmen und nebenbei ziemlich viel Wertvolles für den eigenen Alltag und das Zusammensein mit anderen Menschen lernen. Andrea C. Bayer gibt Einblicke in ihre Lieblingsdisziplin.
Gehst du wieder alleine los?“ Mindestens ein klein wenig Skepsis, auf jeden Fall aber eine große Portion Sorge schwingen mit, wenn mir meine Mama diese Frage stellt. Ich verstehe sie. Egal, wie alt ich werde: Ich bin die kleine Tochter. Egal, wie viele Zeltnächte ich bereits solo verbracht und wie viele Male ich zu viel Gepäck zum Flughafen geschleift habe: Meiner Mama ist diese Art, zu reisen, nicht ganz geheuer. Während sie für mich zu einer Lieblingsdisziplin geworden ist.
Ich denke mit Freude an Familienurlaubsmomente meiner Kindheit zurück und möchte weder die erste Fernreise nach dem Studium noch die jährlichen Wochenendtrips mit meinen besten Freunden missen. Doch während auf diesen Reisen ein bedeutender Teil der Motivation in der gemeinsam verbrachten Zeit liegt, schafft das Soloreisen erst die Voraussetzungen für das Zusammensein und eben auch für das Verreisen mit anderen Menschen.
Wer alleine reist, trifft alle seine Entscheidungen selbst. Ob es darum geht, aus einer innerdeutschen Bahnmisere für sich das Beste zu machen, oder darum, bei einem aufkommenden Gewitter am Berg das Richtige zu tun. Da ist keiner, den man fragen kann. Das bedeutet Verantwortung. Ich alleine habe die Verantwortung für mein Leben und ich will zu keiner Zeit wen anderes wegen eigener Fehleinschätzung in Gefahr bringen.
Wer allein reist, muss nicht einsam sein
Ist es im jeweiligen Moment vielleicht eine konkrete Situation, die gelöst werden will, so ist es im Nachhinein so viel mehr, was einen die Soloverantwortung lehrt. Optionen können nicht nur angedacht werden. Es braucht klare Entscheidungen und es gibt keine Diskussion. Da ist kein Platz für Manipulation und falschen Ehrgeiz, wohl aber für das Annehmen und Anbieten von Hilfe, wenn sie gebraucht wird.
Wer alleine reist, muss nicht einsam sein. Im Gegenteil. Neue Bekanntschaften bescheren unerwartet schöne Augenblicke. Lachen und Schweigen, bis die Sonne wieder aufgeht. Spontanes Hotelzimmerteilen, wenn man außerplanmäßig strandet. Oder ein Wiedersehen nach mehreren Tagen auf dem gleichen Trail. Was dabei immer aktiv ist, ist das Bauchgefühl. Dann, wenn eine Fremde am Nebentisch im Café vertrauenswürdig genug erscheint, um einen Moment auf mein Gepäck aufzupassen. Und auch dann, wenn es Zeit ist, auf einem Camino doch besser noch zwei Stunden bis zur nächsten Herberge weiterzugehen.
Mentales Wachsen
Reisen bildet, sagt man. Zurecht. Das Alleinreisen bildet in praktischen Dingen und mindestens ebenso in mentalen. Die praktischen Dinge helfen, schnell fernab des Alltags zu sein. Gerade am Anfang, wenn man noch nicht so viel und vor allem noch nie alleine gereist ist. Ich erinnere mich immer noch gut an meine Aufregung und das doppelte bis dreifache Ausdrucken von Reiseunterlagen, als ich mit Anfang zwanzig zum ersten Mal für längere Zeit allein in meine heutige Herzensheimat Schweden reiste. In eine Stadt, in der ich niemanden kannte. Zu einer Jahreszeit, die andere als unwirtlich beschreiben würden. Ich erinnere mich an meinen ersten Tagesausflug dort und die spontane Busfahrt bis zur Endhaltestelle am Meer bei tiefen Minusgraden, an den verdutzten Blick des Busfahrers, als ich genau dort als letzte und einzige Passagierin ausstieg. Ob ich sicher sei, dass ich hier bleiben möchte, fragte er. Ich strahlte, nickte, zog meine Mütze über die Ohren und stapfte los. Alleine über dick verschneite Felsblöcke. Zwei Stunden lang.
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