Sei achtsam mit dir!

Ein achtsamer und liebevoller Umgang mit uns selbst stärkt unsere Gesundheit, das Selbstbewusstsein und auch die Beziehungen zu anderen Menschen. Die Psychologin Patrizia Collard zeigt, wie wir uns die heilsame Lebenseinstellung des achtsamen Selbstmitgefühls aneignen können.

Wenn wir uns vor Augen führen, wie weit die Welt vom Frieden entfernt ist, dann scheint Selbstmitgefühl ein hochgestecktes Ziel: Kriege auf mehreren Kontinenten, eine aus dem Gleichgewicht geratende Umwelt und Menschen, die einander aggressiv unterdrücken oder sogar töten. Wir müssen in dieser verrückten Welt bei Verstand bleiben, und das kann eine Herausforderung sein. Mitgefühl basiert auf der Einsicht, dass der andere nicht der andere ist und dass ich nicht ich bin. Mit anderen Worten: Indem ich andere liebe, liebe ich mich selbst, und das ist in meinem ureigenen Interesse.
Mir ist das Glück geschenkt, den anderen von seinem Schmerz, der auch der meine ist, befreien zu können. Mitgefühl ist ohne Wenn und Aber im Interesse eines jeden. Diese Erkenntnis ist umso notwendiger, als es um das Überleben unseres globalen Dorfes geht, darum, andere zu lieben, die anders sind als wir, uns selbst zu lieben, indem wir andere lieben. Es geht darum, die Möglichkeiten der Liebe und des Überlebens zu lieben. Es geht um die eine Liebe, die alles durchdringt.
Durch Achtsamkeit kommen wir auf all die Bereiche unseres Lebens zurück, in denen es noch an Ruhe und Frieden mangelt. Achtsamkeit lehrt uns außerdem, meditative Übungen geduldig zu wiederholen und immer wieder von vorn zu beginnen, auch wenn wir vorübergehend die Orientierung verlieren.

Empathie entwickeln

Wenn wir Kummer haben, ist es Balsam für die Seele, wenn jemand für uns da ist. Müssen wir z.B. zu einem Gerichtstermin oder ins Krankenhaus, wird jemand, der sich um uns sorgt, uns begleiten wollen. Allein das Teilen der Erfahrung mit einem anderen Menschen verringert den Druck aufs Herz. Schon die Gegenwart eines empathischen Menschen ist tröstlich. In unserem Inneren spüren wir, dass andere die gleichen Bedürfnisse haben wie wir. Das nennt man Empathie. Sie besteht aus emotionalem und rationalem Verstehen und beginnt mit dem Wunsch, die Situation eines anderen nachzuvollziehen, ohne etwas hinzuzufügen oder fortzulassen.
Manchmal haben wir das Bedürfnis, über Dinge zu sprechen, auch wenn der andere keine Lösung parat hat. Aber bereits das empathische Zuhören kann heilend wirken, weil wir uns wahrgenommen fühlen, wenn ein anderer unsere Erfahrungen teilt. Empathisches Zuhören kann unser Herz zutiefst berühren, insbesondere wenn der andere uns seine Ängste, seine Verwirrung, Wut und Verzweiflung oder sogar seine Traumata eröffnet. In einem solchen Augenblick sind wir für den bekümmerten Menschen da und enthalten uns jeden Urteils. Es ist ein freundlicher und selbstloser Akt, das eigene Herz für den Kummer des anderen zu öffnen. Empathie wird oft subtil und nonverbal vermittelt. Ein Blick kann Verständnis für die Verzweiflung des anderen ausdrücken; wenn eine Person schlechte Nachrichten empfängt und wir ihre Hand halten, kann dies schon die entscheidende Unterstützung sein.

Was ist es, das uns so stark miteinander verbindet?

Haben wir uns dieses Verhalten in jungen Jahren bei anderen abgeschaut? Empathie wird von speziellen Hirnzellen namens Spiegelneuronen hervorgerufen. Italienische Wissenschaftler meinen, dass wir Empathie durch Beobachten und Imitieren erlernen. Wenn wir bei einem anderen Menschen eine Gefühlsbewegung wahrnehmen, dann meint unser Gehirn, dass wir dieses Gefühl gleichfalls erleben. Forscher versuchen zu beweisen, dass unser Gehirn einen physiologischen Vorgang in psychologischer Form simulieren kann. Der Neurobiologe Vittorio Gallese sagt: „Dieser neuronale Mechanismus ist automatisiert … wir wissen ohne Nachdenken um das Tun und Fühlen anderer.“
In Beziehungen spielt dieses Phänomen eine entscheidende Rolle. Die Spiegelneuronen zeigen auf, dass eine echte Verbindung existiert zwischen der Wahrnehmung bzw. dem Erleben eines Geschehnisses und dem zugehörigen Handeln bzw. Empfinden der Folgen. Spiegelneuronen sind der Nährboden der Empathie. Sie sind verantwortlich für die Leidenschaft, mit der wir das Spiel unseres Lieblingstennisspielers verfolgen; für unseren Wunsch, großen Athleten und Schauspielern nachzueifern, und für unsere Fähigkeit, uns in die Situation und die Gefühle anderer hineinzuversetzen. Wenn Sie also einer Freundin versichern, dass Sie wissen, wie sie sich fühlt, dann sind das nicht nur leere Worte. Dank der Spiegelneuronen empfinden Sie ihre Emotionen wirklich.

Herzensgüte zeigen

Sobald man aufrichtig spürt und akzeptiert, dass alle Geschöpfe Bedürfnisse haben und das Leben ein Kampf ist und sich dafür öffnet, anderen bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse behilflich zu sein, gelangt man in den Bereich der Herzensgüte. Sie ist das bewusste Streben danach, die Not und das Leid anderer zu mindern. Nicht die Größe des dargebotenen Geschenks oder der Geste ist bei der Großzügigkeit entscheidend, sondern allein die Reinheit der Absicht. Tief im Inneren ist Ihnen das vermutlich bewusst.
Die meisten von uns bewundern diejenigen aufrichtig, die ohne Gegenleistung geben können. In ihrem Buch über beglückende Entscheidungen kommen Rick Foster und Greg Hicks auf den jüdischen Philosophen Maimonides zu sprechen. Er schrieb im 12. Jahrhundert über Herzensgüte und meinte damit, für die Bedürftigen einen Ausgangspunkt zu schaffen, von dem aus sie sich um sich selbst kümmern können und dann auch eine Chance zu echter Unabhängigkeit haben. In vielerlei Hinsicht ist es genau das, was gemeinnützige Organisationen heute erreichen wollen: den Leuten zu zeigen, wie man einen Brunnen bohrt, damit sie es in Zukunft ohne Hilfe schaffen.

Den ganzen Artikel finden Sie in unsererem Sonderheft 7/2020

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