Seelenverwandt

Wenn wir nach dem suchen, was unsere Seele stärkt, dann sind das auch tiefe Beziehungen zu anderen Menschen. Freundschaften zu pflegen gehört zu ­einer wichtigen Voraussetzung für ein glückliches und zufriedenes Leben. Die beiden Erfolgsautoren Ronald Schweppe und Aljoscha Long wissen da ziemlich genau, worüber sie schreiben.

Alle Menschen sehnen sich nach Glück. Das ist bei uns und auch bei dir nicht anders. Genau genommen läuft alles, was wir tun, darauf hinaus, Leiden zu vermeiden und das Glück zu finden. Daher sehnt sich jeder von uns im Grunde seines Herzens auch nach erfüllenden Beziehungen.

Wir brauchen keine Studien, die die positiven, heilsamen Wirkungen guter sozialer Verbundenheit auf Körper und Seele belegen – wir wissen das alles selbst ganz gut. Doch was viele nicht wissen, ist, wie groß ihr eigener Einfluss dabei ist. Ob es darum geht, ruhiger und gelassener zu werden, mehr Freude in unserem Leben zu erfahren oder eben auch bereichernde Beziehungen zu unseren FreundInnen zu haben – solange wir nur in unserer Komfortzone oder auf dem Sofa sitzen bleiben und mal abwarten, was passiert, können wir lange warten.

Freundschaften lebendig halten

Es braucht ein Ziel, eine Entscheidung und vor allem Kultivierung – ein Begriff, der im Fernen Osten gern verwendet wird und die Sache besser beschreibt als „Übung“, weil man dabei nicht so leicht an Gymnastik denkt. Schon wenn es darum geht, neue Freundinnen oder Freunde zu finden, müssen wir das wollen und uns darum bemühen. Um den Kontakt zu unseren Freunden aufrechtzuerhalten, müssen wir das ebenfalls wirklich wollen. Und erst recht brauchen wir eine klare Ausrichtung, wenn wir in unseren Freundschaften mehr Vertrauen, Mitgefühl, Wertschätzung und eine tiefe Verbundenheit, wenn wir also Seelenverwandtschaft erleben möchten.

Seelenverwandte Beziehungen

Freundschaften zu erhalten ist nicht selbstverständlich. Zu einigen unserer alten Freundinnen und Freunde haben wir jeweils den Kontakt verloren. Jeder hängt in seinem Leben fest, man hat sich auseinandergelebt, ist vielleicht weggezogen. Jedenfalls haben wir irgendwann bemerkt, dass sie nicht mehr anrufen und uns scheinbar vergessen haben – aber um ehrlich zu sein ist das auch kein Wunder, da wir uns bei ihnen auch nicht mehr melden. In einigen Fällen ist das ganz gesund, da es ja nicht sinnvoll ist, zu sehr an der Vergangenheit festzuhalten. Es gibt aber auch Menschen, die uns noch immer nahestehen, mit denen wir uns sehr verbunden fühlen und die wir sogar als Seelenverwandte bezeichnen würden, auch wenn wir schon lange nichts von ihnen gehört haben. Höchste Zeit, sie mal wieder zu kontaktieren, denn während diese Zeilen hier entstehen, wird auch uns wieder einmal bewusst, dass Freundschaften vom Austausch leben.

Vielleicht bist du traurig oder enttäuscht, wenn deine alten Freundinnen oder Freunde scheinbar immer weniger Zeit für dich haben, dich am Telefon abwürgen oder sich womöglich gar nicht mehr bei dir melden. Das kann natürlich verschiedene Gründe haben, aber einer, an den wir oft nicht denken, ist, dass wir unsere Freundschaften selbst bewusst pflegen müssen, wenn wir uns intensive Beziehungen wünschen. Viele Menschen pflegen ihre Wohnungen, ihre Badezimmer und (vor allem Männer) ihre Autos, als hinge ihr Leben davon ab. Wir pflegen unsere Haut, unsere Haare und unsere Gesundheit. Dass jedoch auch Freundschaften viel Pflege brauchen, daran denken wir zu selten.

Wer seine Blumenbeete nicht gießt und das Unkraut wild wuchern lässt, ist kein guter Gärtner. Wer sich bei seinen FreundInnen nicht mehr meldet, ist kein guter Freund. Es gibt natürlich Lebensphasen, in denen die Kontakte leiden – zum Beispiel wenn wir beruflich sehr eingespannt sind oder unsere Familie auf Platz eins unserer Prioritätenliste steht. Oft dauert es dann, bis die Kinder das Haus verlassen, wir in Rente gehen oder irgendwann in eine tiefe Krise stürzen, bis wir uns wieder an unsere FreundInnen erinnern. Doch leider kann es leicht passieren, dass wir dann plötzlich ganz allein dastehen. Ein Grund mehr, Freundschaften lebenslang zu pflegen.

Der innere Weg zur Seelenverwandtschaft

Aristoteles hat drei Arten von Freundschaft beschrieben: Die Freundschaft aus Nutzen ist mit großer Vorsicht zu genießen. Die Freundschaft aus Lust ist hingegen recht unterhaltsam und hat sicher ihre Berechtigung. Aber nur die Charakter- oder Tugendfreundschaft ist es, auf die laut Aristoteles Verlass ist. Und nur sie fördert unser inneres Wachstum und kann uns wirklich erfüllen.
Statt von Charakter- oder Tugendfreundschaft wollen wir lieber von Seelenverwandtschaft sprechen, denn so ist klarer, was wir meinen – dass wir in diesen Freundschaften nämlich seelisch mit unseren FreundInnen verbunden sind. Dafür braucht es Menschen, die unsere Werte teilen und nach neuen, lebendigeren Wegen suchen, Verbundenheit zu erfahren. Es braucht Menschen, die bereit sind, gemeinsam mit uns die Welt zu verändern. Klingt das abgehoben? Kein Wunder. Aber ob es dir klar ist oder nicht: Mit jedem Gedanken, den du denkst, und mit jeder Stimmung, die du in dir nährst, veränderst du tatsächlich deine Umwelt, und zwar in jedem einzelnen Augenblick. Und gemeinsam mit deinen FreundInnen hast du noch viel größeren Einfluss.

Den inneren Weg zu gehen, der zu tiefer Verbundenheit zwischen dir und deinen FreundInnen führt, ist einfach, aber leider nicht leicht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir keine „100 Tipps“ brauchen – weder um glücklich zu sein noch um glückliche Beziehungen zu führen. Je einfacher und nahe liegender, desto besser. Wir brauchen nur zwei Flügel, um frei zu sein – zwei Qualitäten, die unserem Leben Sinn schenken und durch die wir auch die Menschen um uns herum glücklich machen: Achtsamkeit und Mitgefühl.

Sei achtsam und liebe

Ein wacher, offener Geist und ein gütiges Herz – mehr ist nicht nötig, um ein Leben in Fülle zu führen; und mehr braucht es auch nicht, um Seelenverwandtschaft erblühen zu lassen. Achtsamkeit und Mitgefühl sind die wichtigsten Säulen so ziemlich aller spirituellen Schulen. „Sei achtsam und liebe“ – so lautet auch der wichtigste Ratschlag, den der Buddhismus uns ans Herz legt.
Durch Achtsamkeit und Mitgefühl heilen wir nicht nur die Beziehung zu unseren FreundInnen, sondern auch die Beziehung zu uns selbst. Studien belegen, dass sich Achtsamkeit und Mitgefühl sehr positiv auf unsere Gesundheit und unser seelisches Gleichgewicht auswirken. Schon ein wenig mehr Achtsamkeit, schon etwas mehr Mitgefühl und Dankbarkeit erhöhen die Lebensfreude und Zufriedenheit, stärken ein positives Selbstbild und ermöglichen es uns, erfüllende Beziehungen zu führen.

All das ist an sich selbstverständlich – und doch ist es oft unendlich schwierig, diese Qualitäten in unserem täglichen Leben umzusetzen. Nur selten nehmen wir andere Menschen achtsam und bewusst wahr, geschweige denn, dass wir ihnen freundlich und wertschätzend begegnen. Selbst bei unseren Freundinnen oder Freunden gelingt uns das leider nicht immer. Und sogar uns selbst gegenüber können wir ganz schön grob und unachtsam sein. Kein Wunder! Wir können nämlich weder präsent und achtsam noch mitfühlend sein, solange wir in unserem Kopf – in unseren Sorgen, Selbstzweifeln, Urteilen und all den ruhelosen Gedanken – feststecken. Allerdings ist niemand von uns zu lebenslänglicher Gefangenschaft im Kopf verurteilt. Achtsamkeit und Mitgefühl lassen sich gezielt kultivieren. Es gibt viele Übungen und Meditationen, die du nutzen kannst, um mehr davon zu entwickeln. Und diese Zeit ist gut investiert, denn durch liebevolle Achtsamkeit verbindest du dich mit deiner inneren Quelle und zugleich mit allen Menschen, die dir in deinem Leben begegnen.

Gemeinsam im Augenblick sein

Durch die folgende Übung kannst du deine Achtsamkeit in der Begegnung mit deinen FreundInnen ganz gezielt entwickeln:
Dazu richtest du deine Aufmerksamkeit abwechselnd auf dich selbst und dann auf dein Gegenüber. Öffne deinen Geist und dein Herz. Beobachte achtsam, was sie oder er tut oder sagt, und versuche auch zu „sehen“, was in deiner Freundin oder in deinem Freund vorgeht.
Mach das eine Weile und richte die Aufmerksamkeit dann auf dich selbst: Was geht dir gerade durch den Sinn? Was möchtest du vielleicht sagen? Welches Gefühl, welche Stimmung herrscht gerade in dir vor? Wie fühlt sich dein Körper an? Kannst du deinen Atem spüren? Die Übung besteht darin, deine Achtsamkeit immer wieder zwischen dir und deinem Gegenüber hin- und herpendeln zu lassen. Dieses Fokus-Pendeln könnte zum Beispiel so aussehen:

· Du richtest den Fokus auf dich selbst: Nimm deinen Körper und deine Haltung wahr. Versuche, dich so gut es geht zu entspannen und zur Ruhe zu kommen.
· Du richtest den Fokus dann auf deine Freundin oder deinen Freund: Hör zu, was er oder sie sagt, und versuche, es nicht zu bewerten oder innerlich zu kommentieren.
· Du lenkst deinen Fokus wieder auf dich selbst: Wie reagierst du innerlich auf das, was dein Gegenüber sagt oder tut? Tauchen bestimmte Gefühle auf? Was kannst du loslassen? Beobachte, wie dein Atem kommt und geht, ohne ihn zu beeinflussen.
· Erneut richtest du den Fokus auf den anderen: Beobachte achtsam seine Körperhaltung und Körpersprache. Was will dir der andere sagen, wie klingt seine Stimme? Versuche herauszufinden, was ihm gerade wichtig ist.
· Du lenkst den Fokus dann wieder auf dich selbst: Ist es dir möglich, dich noch mehr in die Situation hinein zu entspannen? Kannst du einen besseren Kontakt zu deiner Freundin oder deinem Freund herstellen, indem du lächelst und aktiv dein Herz öffnest? Oder regt sich in dir Widerstand – fühlst du dich unwohl?
· Nimm einfach alles wahr, was dir bewusst wird. Es geht nicht darum, etwas gut oder richtig zu machen, sondern nur darum, achtsam und offen zu sein für das, was hier und jetzt gerade da ist.

Lesen Sie dazu auch: Seelenverwandtschaft – eine Liebe, die anders ist.

Der Text ist ein Auszug aus: Ronald Schweppe/Aljoscha Long, Seelenverwandt, Kösel Verlag


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