Loslassen ist das neue Anpacken

Nicola Fritze erklärt, warum es uns oft schwerfällt, alte Vorstellungen loszulassen und wie es uns gelingt, endlich das anzupacken, was wir uns schon lange vorgenommen haben.

Eben blätterte ich in meinem Notizbuch, in dem ich meine Gedanken, Ideen, Gelesenes und Gehörtes ganz sporadisch festhalte. Dabei fällt mir eine Notiz ins Auge, ein Zitat von Buddha: „Lerne loszulassen, das ist der Schlüssel zum Glück.“ Und dann stoße ich ein paar Seiten weiter auf ein Zitat einer historisch weniger bekannten oder angesehenen Person. In einer Folge der Serie „Sex and the City“ sagt die Hauptdarstellerin Carrie Bradshaw: „Vielleicht müssen wir das loslassen, was wir waren, um das zu werden, was wir sein wollen.“ Trifft das nicht genau den Kern?

Der Schlüssel zum Glück

Ich bin überzeugt, dass ich nur diejenige werden kann, die ich sein möchte, wenn ich auch etwas zurücklasse, und dass es gut ist, wenn ich immer mal wieder eigene Meinungen, Ziele, Gewohnheiten, Vorlieben und manchmal sogar Menschen loslasse. Weil sie einfach nicht mehr zu mir passen. Nicht zu dem Mensch, der ich gerne sein möchte. Weil mir manches einfach nicht mehr wichtig ist, meine Ziele mir nicht mehr attraktiv erscheinen oder ich mich von manchen Menschen und ihren Werten mit der Zeit, vielleicht ohne es zu merken, einfach entfernt habe.

Loslassen bedeutet, das anzunehmen, was war

„Vielleicht müssen wir das loslassen, was wir waren, um das zu werden, was wir sein werden.“ Das Zitat von Carrie Bradshaw ruft dazu auf, unsere Vergangenheit hinter uns zu lassen. Loslassen bedeutet aber zunächst immer, das anzunehmen, was war. Akzeptieren, was geschehen ist. Verzeihen und seinen Frieden schließen mit allem, was war. Loslassen heißt, aus der Opferrolle herauskommen und sein Leben wieder aktiv gestalten.

Wenn wir zu sehr an dem festhalten, was uns ausbremst und unglücklich macht, können sogar gesundheitliche Probleme auftreten: psychosomatische Beschwerden, Suchtverhalten, Schlafstörungen, Wut- und Hassgefühle, Selbstablehnung, Konzentrationsstörungen oder Depressionen. So weit sollten wir es nicht kommen lassen.

Warum es uns so schwerfällt loszulassen

Um herauszufinden, was wir wirklich wollen, helfen uns ein paar Fragen: „Was möchte ich unbedingt einmal ausprobieren?“ „Mit wem möchte ich zusammen sein?“ „Was macht mich wirklich glücklich?“ „Was kann ich tun, damit es mir ein bisschen besser geht?“ Dennoch kann es sein, dass wir immer noch einen großen Widerstand in uns spüren, der uns daran hindert, tatsächlich loszulassen und Neues anzupacken. Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen haben wir eine unbestimmte Angst davor, etwas wirklich loszulassen. Nach dem Motto „Ich möchte ja gerne, aber woran soll ich mich denn dann festhalten?“ Wenn sich eine Tür hinter uns schließt, erzeugt das erst einmal Unsicherheit. Was sich hinter der neuen Tür verbirgt, das wissen wir noch nicht. Im Gegensatz dazu erzeugt alles, was uns vertraut ist, ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit in uns. Dafür sind wir manchmal sogar bereit, einen hohen Preis zu zahlen. Wir nehmen dann etwas in Kauf, obwohl wir wissen, dass es nicht gut für uns ist, frei nach dem Motto: „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“

Die Angst bei den Hörnern packen

Doch was können wir tun, wenn uns unsere Ängste am Loslassen hindern? Mein Rat: Pack deine Angst einfach bei den Hörnern! Denk einmal da­rüber nach, wie wahrscheinlich es ist, dass die Ängste und Sorgen, die du dir heute machst, tatsächlich eintreten werden. Das gelingt dir am besten mit „Wenn-Dann-Formulierungen“. Spiele all deine Worst-Case-Szenarien durch: WENN XX eintritt, DANN mache ich YY. Beispiel: „Wenn ich mich einsam fühle, dann werde ich mich mit Freunden treffen.“ Entwickle einen „Wenn-Dann-Notfallplan“ für alles, wovor du Angst hast. Das wirkt befreiend und nimmt den Fokus von deinen Ängsten.
Ein anderer Grund, warum uns das Loslassen schwerfällt, sind die „versunkenen Kosten“. Wir haben einfach schon zu viel Zeit, Geld und Energie in etwas reingesteckt, das soll ja nicht umsonst gewesen sein. Gerade im beruflichen Umfeld spielt das oft eine Rolle: Man hält an einem Projekt fest und versucht alles, um es doch noch zum Erfolg zu führen, obwohl es quasi schon gescheitert ist. Ebenfalls im beruflichen Kontext, aber auch im privaten, lassen wir das Alte, was es auch ist, nicht los, weil wir es schon immer so gemacht haben. Warum also jetzt nicht mehr? Warum es schwerfällt loszulassen, hat auch damit zu tun, dass wir soziale Wesen sind und Verbundenheit brauchen. Wenn wir Altes loslassen und etwas verändern, dann fürchten wir vielleicht, die Verbindung zu jemandem oder einem bestimmten Kreis an Menschen zu verlieren. Beispiel: Wenn ich mit dem Rauchen aufhöre, verliere ich die Verbindung zu meinen Kollegen, mit denen ich immer Pause gemacht habe. Doch wenn wir loslassen und Veränderungen aktiv gestalten, haben wir auch die Chance, neue Verbindungen zu knüpfen. Wenn wir loslassen, dürfen wir nicht ständig vergleichen. Wenn wir stets denken, dass es früher besser war, machen wir es uns schwer, uns für das Neue zu öffnen. Hilfreicher sind dann wertfreiere Gedanken wie zum Beispiel: „Jetzt ist es einfach anders.“

Wir sollten uns stets klar machen, dass wir einen Einfluss auf unsere Gefühle haben und ihnen nicht hilflos ausgeliefert sind. Unsere Gefühle entstehen nämlich durch unsere Gedanken. Wenn wir also andere Gedanken haben, können wir auch andere Gefühle entwi-ckeln. Mach dir also stets bewusst, was du gewinnen kannst, wenn du Altes loslässt bzw. was du verlieren wirst, wenn du es nicht tust. Einfacher gesagt als getan? Natürlich ist es nicht leicht, Gewohnheiten, Gedanken und alten Gedankenballast loszulassen. Schleichen sie sich doch immer wieder unbemerkt in unsere Hirnwindungen ein, um dort ihr Unheil zu verrichten.

Loslassen und neu anfangen: drei Methoden

Hast du bereits eine Idee, welchen Gedankenballast, welche Gewohnheiten du gerne loswerden würdest? Hast du schon einmal versucht, einfach nicht mehr daran zu denken? Hat aber nicht funktioniert? Damit es funktioniert, stelle ich dir drei einfache Methoden vor, wie du loslassen lernen kannst. Probiere sie einfach mal aus:

Der Perspektivwechsel

Ein anderer Blickwinkel auf dich, die beteiligten Personen und die Situation öffnet deine Wahrnehmung und damit oftmals auch einen neuen Lösungsraum. Wenn es um das Loslassen geht, hilft dir ein Perspektivwechsel, um deine Sorgen oder Probleme mal in Relation zu setzen. Denn aus einer anderen Perspektive erscheint einiges gar nicht mehr so dramatisch, beängstigend oder ärgerlich, wie es sich in deinem Kopf entwickelt hat. Wenn es um das Loslassen geht, bieten sich zwei unterschiedliche Perspektivwechsel an, um deine Sorgen und Probleme mit etwas mehr Abstand zu betrachten:

  1. Die Zeitreise:
    Schritt 1: Fühle in dich hinein und bewerte das, was dich belastet, mit einem Wert von 1 bis 10 (1 ist wenig schlimm, 10 ist das Schlimmste). Wie schlimm ist die derzeitige Problemsituation für dich?
    Schritt 2: Mache dich zu einer Zeitreise auf: einen Monat vorwärts. Wie schlimm auf der Skala von 1 bis 10 wird dieses Problem in einem Monat für dich sein? Schritt 3: nächste Zeitreise: ein halbes Jahr vorwärts. Wie schlimm auf der Skala von 1 bis 10 wird dieses Problem in einem halben Jahr für dich sein? Schritt 4: Wenn nötig, mache noch eine Zeitreise: in einem Jahr / in fünf / in zehn Jahren oder wenn du möchtest sogar ans Ende deines Lebens: Wie schlimm auf der Skala von 1 bis 10 wird dieses Problem dann für dich sein. Schritt 5: Spüre nach, wie dein Gefühl jetzt ist.
  1. Den Fokus verschieben:
    Statt auf das zu schauen, was dich gerade jetzt belastet, schau auf das, was dir gerade Kraft gibt. Frage dich: Wofür könnte diese Situation nützlich oder gar gut sein? Was wird dir dadurch ermöglicht? Was kannst du in dieser Situation trainieren?

    Hypothesen aufstellen

Überlege zunächst, wie es dir geht und was du tust oder nicht tust, wenn du belastende Gedanken hast. Wer bist du mit diesem Gedanken? Wie reagierst du auf diesen Gedanken? Und dann stell dir einmal die folgenden Fragen: Nur mal angenommen, du könntest diesen Gedanken in fünf Minuten loslassen. Wie würde es dir dann gehen? Was würdest du dann machen? Was würdest du nicht mehr machen? Was wäre dann möglich? Wer wärst du dann? Finde Antworten auf diese Fragen und schreibe sie am besten für dich auf.
Und dann suchst du dir aus deinen Antworten auf die Frage „Was würdest du dann machen?“ den allerkleinsten Schritt aus, den du heute noch tun kannst. Vielleicht ein Anruf, eine Recherche, ein Spaziergang… Spüre in dich hinein, wie es dir damit geht.

Den Kopf einschalten

Diese Loslass-Methode spricht all diejenigen an, die eher kognitiv unterwegs sind. Die also vor allem über Logik und durch Nachdenken ihre Probleme angehen und weniger mit der Gefühlsebene anfangen können. Für Kopfmenschen gilt: Stell deine dich belastenden Gefühle und Ge danken einmal infrage, suche und überprüfe die Fakten und bringe dich ins Zweifeln.
Ein Beispiel: Wenn du dich über etwas ärgerst, dann frage dich: „Kann ich etwas an der Situation ändern?“ Und wenn ja: „Was kann ich jetzt konkret tun?“ „Was muss jetzt anders sein, damit ich meinen Ärger loslassen kann?“ „Was brauche ich dafür?“ „Und wie kriege ich es?“
Hinterfrage dich: „Ist das wirklich so, wie ich denke?“ „Oder ist das vielleicht nur in meinem Kopf so?“ „Gibt es Beweise dafür, dass es so ist, wie ich denke?“ Mach ein Gedankenexperiment und suche nach konkreten Gegenbeweisen.

Mit deinen Antworten kannst du so manches Gedankenkarussell aus den Angeln heben. Und dann geht es da­rum, aktiv zu werden und das anzupacken, was du anpacken willst. Frei nach dem Motto: „Loslassen ist das neue Anpacken.“

Nicola Fritze steht seit fast 20 Jahren mit ihren interaktiven Vorträgen und charmanten Moderationen auf der Rednerbühne – live und digital. Ihre Themen: Veränderung, Kreativität und Motivation. Seit 2006 produziert sie Podcasts, ist Autorin und ermutigt als Coach Menschen dazu, Veränderungen ­anzupacken. www.nicolafritze.de Jetzt neu! Der Podcast „Loslassen ist das neue Anpacken!“ auf www.bewussster-leben.de/podcasts

Den Artikel finden Sie in unserer Ausgabe bewusster leben 1/2021

Diesen Artikel teilen

Weitere Beiträge

Don’t worry!

Aus allem, was uns die großen Meister des Zen-Buddhismus sagen, spricht Ruhe und Gelassenheit. Wir haben sieben Weisheiten für ein sorgloses Leben zusammengestellt.

Diesen Artikel teilen

Ich bin dann mal bei mir

Sabine Platz verbringt viel Zeit im Garten und findet dabei zu sich selbst und Antworten auf die großen Fragen des Lebens.

Diesen Artikel teilen

Eintauchen ins Hier & Jetzt

Eckhart Tolle gilt als Meister der Stille. Er sagt: „Wenn du den Kontakt mit der inneren Stille verlierst, verlierst du auch den Kontakt zu dir selbst.”

Diesen Artikel teilen

Schreiben Sie einen Kommentar