Wahren Seelenfrieden finden wir, wenn wir uns trauen, wir selbst zu sein. Wir selbst entscheiden, ob unsere Lebenssinfonie in Dur oder in Moll erklingt – und sollten wir uns dabei einmal für Moll entscheiden, ist das auch in Ordnung.
Kennst du jenen geheimnisvollen Moment der Stille, der sich ausbreitet, bevor ein Orchester zu spielen beginnt – und hast du je erfahren, welch gewaltige Kraft sich entfaltet, wenn der Dirigent den Taktstock hebt und die verschiedenartigsten Klänge der Musiker in einem mächtigen Akkord zusammenfinden?
Noch immer steigen mir in diesen Augenblicken Tränen der Rührung in die Augen. Ich bin überwältigt und fühle mich dem göttlichen Funken näher als sonst – ja, ich spüre ihn sogar direkt in mir, obwohl ich nur Zeuge des Geschehens bin und nicht im Orchester sitze. Doch alleine durch das Zuhören ist es, als wäre ich Teil des Ganzen geworden.
Du bist der Dirigent deines Lebens
Als Jugendliche habe ich selbst in einem Orchester gespielt: erst an der Violine, später mit der Bratsche. Am spannendsten fand ich jene Minuten, in denen wir vor dem Beginn eines Konzertes unseren Instrumenten den letzten Feinschliff gegeben haben. Die Klänge, die einer solchen Situation entstehen, scheinen ein einziges, schräges Durcheinander zu sein. Hier drehen die Streicher an den Wirbeln – das sind jene Werkzeuge, mit denen die Saiten auf die passende Spannung gebracht werden – und lauschen dabei hochkonzentriert in ihr Instrument hinein, dort spielen die Bläser noch einmal schwierige Passagen an oder versuchen, ihren Ansatz zu perfektionieren, wechseln vielleicht auch noch einmal das Mundstück. Notenpulte werden justiert, Bögen präpariert, Noten aufgeblättert und Stühle gerückt. Und dann, plötzlich – Stille. Der Dirigent betritt sein Pult, das Murmeln des Publikums verstummt schlagartig, der Taktstock wandert in die Luft und die Musik setzt ein.
Scheitern und Disharmonie gehört zum Leben
Vor jeder Sinfonie herrschen Durcheinander und Dissonanzen, bevor die große, magische Stille eintritt, auf die schließlich die Musik folgt, in Harmonie und göttlicher Schönheit. Von all dem tragen wir etwas in uns, denn auch wir Menschen sind Klangwesen – ob wir uns für musikalisch halten oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Denn wir tönen; selbst dann, wenn wir nichts sagen, nicht singen, kein Instrument spielen. Weil wir Schwingung sind. Wir sind der Dirigent unseres Lebens, wir sind die Musiker unserer Lebenssinfonie, wir sind unser eigenes Publikum. Mal möchten wir laut Beifall klatschen, mal empört „Buh!“ rufen, mal uns beschämt vor uns selbst verstecken. Doch ohne das so wirr klingende Stimmen und Austesten unserer Instrumente, ohne das Üben, das Versuchen und Scheitern, würde niemals unsere unverwechselbare, einzigartige Lebenssinfonie ertönen und in Harmonie mit unserem Seelenklang kommen können. Scheitern und Schrägklingen gehört zum Leben. Und doch ist kosmisch betrachtet bereits alles Harmonie. Wir müssen uns also nicht darüber den Kopf zerbrechen, dass wir unsere Lebenssinfonie noch nicht kennen und unseren Seelenklang womöglich auch nicht und dass noch nicht alles miteinander harmoniert. Denn im Großen und Ganzen haben wir genügend Zeit und Raum, schräg und falsch zu klingen, ohne dass es die kosmische Ordnung und Harmonie stört.
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