Flow heißt im Deutschen nichts anderes als fließen, rinnen, strömen und meint einen zutiefst beglückender Zustand. Die Kunst besteht darin, eine Tätigkeit zu finden, in der man vollkommen aufgeht und die Zeit vergisst. Patricia Küll weiß, wie wir am besten zu einem solchen Flowerlebnis finden.
Als mein Mann seine Büroräume umbauen ließ, musste auch die kleine Einbauküche dran glauben. Ein Drittel der Arbeitsfläche musste weg. Diese Arbeit übernahm ich, weil ich ganz gerne handwerklich tätig bin.
Allerdings habe ich das nie gelernt, und so mache ich beim Messen und Überlegen gerne Denkfehler, sodass am Ende doch irgendein Teil nicht zum anderen passt. In diesem Fall musste ich sehr genau und gewissenhaft arbeiten, denn ich wollte mich vor meinem Mann nicht blamieren. Die Arbeitsplatte, Fußleisten und diverse Kleinteile mussten abgemessen und neu gesägt werden. Immer wieder legte ich den Maßstab an und prüfte nach, ob ich auch nichts übersehen hätte. Oft musste ich spiegelverkehrt sägen und hatte deswegen ständig Bedenken, dass ich doch wieder an irgendeinem Punkt einen Denkfehler gemacht haben könnte.
Die Zeit, die ich für diese Arbeit benötigte, verging wie im Flug. Ich dachte keine einzige Sekunde daran, auf mein Handy schauen zu wollen. Meine Gedanken waren so sehr bei dieser Arbeit, dass kein Raum für anderes war. Und am Ende – als alles richtig gut passte – war ich unendlich stolz.
Diesen Zustand nennt der US-amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi „Flow“. Ich war während dieser Arbeit weder über- noch unterfordert und ging ganz in der Tätigkeit auf.
So fließt alles
Mihaly Csikszentmihalyi hat in seinen Studien festgestellt, dass sich bei Menschen, die häufig diesen Flowzustand erleben, die Lebensqualität steigert. Dabei können ganz unterschiedliche Aktivitäten diesen Zustand auslösen: Bergsteigen genauso wie Geige spielen. Malen oder mit Kindern spielen. Die Straße kehren oder eine Herzoperation durchführen. Dabei kommt es in erster Linie nicht darauf an, was man macht, sondern welche Qualität die Aktivität hat. Csikszentmihalyi macht acht Faktoren aus, damit das Flowgefühl entstehen kann:
1. Das Ziel muss klar sein, und Rückmeldungen erfolgen am besten unmittelbar. Das erreicht man oft bei sportlichen Aktivitäten. Bei einem Fußballspiel wissen die Spieler, dass sie gewinnen wollen, und sie bekommen sofort Feedback, welche Handlungen gut oder schlecht waren.
2. Die Aktivität muss so anspruchsvoll sein, dass man sich völlig darauf konzentrieren muss. Ich stelle bei mir immer wieder fest, dass meine „Nebenfestplatte“ im Gehirn ununterbrochen
am Laufen ist und sich mit Inhalten beschäftigt, die mit meiner momentanen Arbeit nichts zu tun haben („Was muss ich noch einkaufen?“, „Die Geschirrspülmaschine muss ich nachher
noch ausräumen“, „Für morgen muss ich die gelbe Bluse noch bügeln“). Vielleicht kennst du Gedanken dieser Art, die ständig „nebenbei“ laufen, auch. In Momenten des Flows ist man
jedoch so konzentriert, dass diese Nebenfestplatte abgeschaltet ist und man sich nicht mit den oft lästigen Anforderungen des Alltags beschäftigen kann.
3. In Momenten des Flows übt man eine Tätigkeit aus, bei der man weder über- noch unterfordert ist. Auch beim Schachspielen kann man in Flow kommen, aber nur, wenn der Gegner ein klein bisschen besser ist. Also wenn man die Chance sieht, ihn doch besiegen zu können. Ist der Gegner deutlich schwächer, ist man unterfordert, und ein Flowgefühl kann sich nicht einstellen.
4. Man hat das Gefühl der Kontrolle. Dabei geht es hier nicht um „zwanghaftes Beherrschen“. Es ist eher das Gefühl, die Sache im Griff zu haben und das führt in der Folge zu einem Zustand, in dem man sich angstfrei und gelöst fühlt. In den Flowmomenten selbst ist das Glücksgefühl oft gar nicht zu spüren, weil man viel zu konzentriert auf das Tun ist. Das schöne Gefühl von Glück und Stolz stellt sich erst hinterher ein.
5. Die Aktivitäten, bei denen man im Flow ist, sind gekennzeichnet durch eine gewisse Leichtigkeit. Das heißt nicht, dass man sich dabei nicht anstrengen muss. Dennoch entsteht das Gefühl, dass einem die Dinge spielerisch und eher mühelos gelingen.
6. Das Zeiterleben ändert sich. Im Flow vergehen Stunden wie im Flug, oder Minuten fühlen sich an wie Stunden. Hier spricht man vom sogenannten „zeitfreien“ Flow-Modus.
7. Im Flow-Modus verschmilzt man als Person mit dem eigenen Tun. Es ist kein Raum mehr für Ängste, Nöte und Überlegungen, die sich um die eigene Person drehen. Man empfindet sich nicht mehr als ein isoliertes Individuum, sondern wird eins mit seinem Tun.
8. Flow-Erfahrungen haben eine sogenannte autotelische Qualität. Es zählt also nicht nur das Ergebnis, sondern bereits das Tun selbst bringt Zufriedenheit. Dieser Begriff ist zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern auto – selbst und telos – Ziel.
Was macht dich wirklich glücklich?
Wie schaffen wir es nun, diesen Bedingungen, die es braucht, um ein Flowgefühl zu erfahren, den richtigen Nährboden zu geben? Wie schaffen wir es, möglichst häufig ein Flowgefühl zu erleben?
Die große Herausforderung hierbei ist herauszufinden, was uns wirklich Freude macht und was uns zutiefst erfüllt. Viele Erwachsene haben es vergessen oder verdrängt, was ihnen so viel Spaß macht, dass sie die Zeit dabei völlig aus den Augen verlieren. Deswegen überlege dir einmal in aller Ruhe, was dich glücklich macht. In welchen Situationen/unter welchen Umständen vergisst du die Zeit und gibst dich ganz dem hin, was du tust? In welchen Situationen fühlst du dich besonders lebendig?
In meinem Beruf als Journalistin habe ich viele Menschen kennengelernt, die in ihrer Freizeit das Flowgefühl erleben. Viele sind kreativ tätig. Sehr gerne erinnere ich mich an eine Frau, die Teddys bastelt. Darin geht sie völlig auf. Oder an einen Mann, der mit Hingabe alte Autos repariert und darüber völlig die Zeit vergisst. Erstrebenswert wäre es freilich, auch in den vielen Stunden, die man mit seinem Beruf verbringt, Flowgefühle entwickeln zu können. Und in der Tat zeigen die jahrzehntelangen Forschungsergebnisse von Mihaly Csikszentmihalyi, dass Flow in Arbeitssituationen häufiger auftritt als in der Freizeit. Der Glücksforscher nennt gern den Beruf des Chirurgen, der oft alle Faktoren für Flowerlebnisse erfüllt. Nun können wir nicht alle zum Skalpell greifen und Menschen operieren, um glücklicher zu werden. Und wir haben auch nicht alle einen Beruf, in dem man regelmäßig und schnell Anerkennung bekommt. Aber – und das ist eine wirklich gute Nachricht – man kann auch bei Berufen, die weniger anspruchsvoll und abwechslungsreich sind und bei denen das positive Feedback eher ausbleibt, einiges dafür tun, damit „es fließt“.
Allen, die in ihrem Beruf lange auf ein Feedback warten müssen – Psychotherapeuten oder Schriftsteller zum Beispiel – oder die eher wenig Anerkennung bekommen, empfiehlt Csikszentmihalyi zu lernen, sich selbst positiv zu beurteilen. Sich also nicht vom Lob anderer abhängig zu machen, sondern selbst einzuschätzen, ob man eine Arbeit gut gemacht hat.
Das ist anfangs sicherlich nicht einfach, aber wir können lernen, uns selbst zu loben und auf unser Tun stolz zu sein.
Vielleicht magst du damit anfangen, indem du nach der Arbeit auf dem Heimweg überlegst, was du am Tag alles geleistet hast und was dir deiner Meinung nach gut gelungen ist. Ein gedankliches „Sich-selbst-auf-die-Schulter-Klopfen“ bringt dir bestimmt mehr, als wenn du darüber nachgrübelst, was du alles nicht gut gemacht hast.
Gib dein Bestes!
Ich habe irgendwann einmal damit angefangen, mich selbst zu belohnen, wenn ich meiner Meinung nach etwas besonders gut hingekriegt habe. Das muss nichts Großes sein. Eine kleine Auszeit bei einem Cappuccino in einem Café, in dem ich einmal in aller Ruhe einfach nur gucke. Oder ich gönne mir einen schönen Blumenstrauß – als kleines „Dankeschön“ an mich. Wie kann man in Berufen, die eher eintönig sind, Flowgefühle entwickeln? Mihaly Csikszentmihalyi hat beobachtet, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, auch solche zu genießen. So hat das Team des Glücksforschers einmal Frauen befragt, die in Kliniken putzen.
Die einen beschrieben, was sie taten. Also Boden wischen und Bettpfannen reinigen. Andere erzählten, dass sie dafür zuständig seien, etwas für das Wohlbefinden der Patienten zu tun, denn diese fühlten sich besser, wenn der Raum sauber sei und das Bad gut rieche. Diese Frauen hatten bei ihrer Arbeit also das Gefühl, andere Menschen glücklich machen zu können, und gaben dafür ihr Bestes. Auch dadurch kann sich ein Flowgefühl einstellen. Hier kann also die persönliche Einstellung für Glücksgefühle sorgen.
Csikszentmihalyi berichtet auch von Menschen mit eintönigen Tätigkeiten, die sich selbst neue Herausforderungen stellen. Sie versuchen, ihre Arbeit schneller, anders, präziser zu erledigen. Dadurch wird der Job gleich interessanter. Ich hatte einen Klienten, der seinen Beruf als Sachverwalter schon so lange ausübte und dabei so sicher war, dass er sich jeden Tag langweilte. Bis er anfing, mit sich selbst in einen Wettbewerb zu treten. Er machte sich selbst Vorgaben, wie viel Zeit er für seine Tätigkeit brauchen durfte, und musste sich dadurch sehr konzentrieren, um bei der Geschwindigkeit keine Fehler zu machen. Plötzlich war von Langeweile keine Rede mehr.
In den Flow zu kommen, kann also ganz einfach sein. Oder ganz schwer. Wenn du die Aktivität gefunden hast, in der du Zeit und Raum vergisst, dann sorge dafür, dass du sie möglichst häufig ausübst.
Wenn du eine solche Tätigkeit (noch) nicht gefunden hast, dann kannst du versuchen, aus Alltagsbeschäftigungen etwas Besonderes zu machen. Oder wie Csikszentmihalyi sagt: „Man kann es schaffen, die schlimmste Routinearbeit in ein Kunstwerk zu verwandeln.“
Patricia Küll
Der Text entstammt
dem Buch von Patricia Küll
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