Anselm Grün über Wachstum und Veränderung und warum wir uns immer wieder aktiv und kreativ auf das neue einlassen müssen.
Alle sprechen von Grenzen des Wachstums: Inwiefern ist Wachsen für Sie ein erstrebenswertes Ziel?
Es geht mir nicht um ein quantitatives Wachstum, sondern um ein qualitatives. Das gilt heute nicht nur für die Wirtschaft, wo ungehemmtes Ausnutzen von natürlichen Ressourcen und die Fixierung auf maßlosen Konsum die Natur zerstört und zum Kollaps führt. Es geht nicht um „immer mehr“, sondern um kreative Lösungen. Auch für den Menschen gilt das: Ich kann z.B. nicht immer noch mehr arbeiten, sondern muss meine Grenzen kennen. Und wenn ich in einer Aufgabe wachsen will, muss ich andere loslassen.
Ihr neues Buch heißt: „Im Wandel wachsen“: Angewandt auf Ihre eigene Arbeit – worum geht es Ihnen da?
Mir geht es in erster Linie um den Einzelnen. Ich spreche bewusst nicht von Veränderung, was etwas Aggressives hat, sondern von Wandlung. Alles Lebendige muss sich wandeln, damit es lebendig bleibt, sonst erstarrt es. Wie in der Natur gibt es auch beim Menschen neben dem Wachsen zudem immer auch das Sterben. Auf der einen Seite wächst etwas, auf der anderen Seite stirbt etwas. Auf diese Weise bleibt der Mensch immer neu und lebendig. Es gibt kein Wachsen ohne Sterben. Zu beidem muss der Mensch innerlich ja sagen, damit er nicht erstarrt. Der Grundsatz meiner Begleitung von Menschen ist: Annehmen, was ist. Nicht bewerten, wie ich bin, sondern würdigen, was und wer ich bin. Dann kommt das Zweite: Ich möchte weiter wachsen. Das gehört wesentlich zum Leben und zur Lebendigkeit.
Wachsen worauf hin? Ziel unseres Lebens sei Hineinwachsen in die Einzigartigkeit, in der Gott uns gewollt hat? Was meinen Sie damit?
Entwicklungspsychologisch ist jeder einmalig. Schon beim Kind spürt man das. Und theologisch gesprochen: Jeder ist ein einmaliges Bild Gottes. Wir sind es also schon. Aber wir können auch immer mehr hineinwachsen in dieses Bild, das wir nicht mehr beschreiben können, das jenseits aller Beschreibungen liegt und auf innerer Stimmigkeit beruht. Wir spüren: Wenn wir in Berührung sind mit diesem Bild, können wir innerlich ruhig werden und doch lebendig bleiben. Wir sind dann authentisch: frei, gelassen und hoffnungsvoll.
Was ist die Herausforderung, wenn klar ist, dass die Welt um mich herum sich rasant verändert?
Die Frage ist: Wie kann ich mir unter solchen Umständen selber treu bleiben, ohne mich zu verbiegen? Sich treu bleiben heißt nicht unbedingt, das Alte konservieren. Sondern mich aktiv und kreativ einlassen auf das Neue. Aber aus meiner inneren Mitte heraus. Nur wer sich wandelt, erstarrt nicht innerlich. Wenn ich immer mehr ich selber werde, werde ich frei: Ich muss mich nicht ständig rechtfertigen oder selbstdarstellen, ich muss nichts beweisen. Nur wenn ich „ich selber bin“, also hineingewachsen bin in mein wahres Selbst, kann ich gut auf das reagieren, was von außen kommt.
Den ganzen Artikel finden Sie im Buch-Magazin in unserer Ausgabe bewusster leben 3/2022
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bewusster leben 3/2022
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