In eine toxische Beziehung kann jeder von uns geraten. Es ist ein Leben voller Demütigung und Erniedrigung. Doch wie befreit man sich aus etwas, das auf Dauer nicht nur unserer mentalen, sondern auch körperlichen Gesundheit schaden kann?
Ich werde dich immer lieben, egal was du tust“, so klingt wahre Liebe aus Hollywood. In dem bekannten Liebesdrama Twighlight antwortet Protagonistin Bella: „Ist mir egal“, nachdem Vampir Edward ihr anvertraut: „Ich habe schon Menschen getötet“. Langsame Klaviermusik, verliebte Blicke unterstreichen dann die Szene und die Bilder wollen uns sagen: Wenn man jemanden wirklich liebt, ist alles andere unbedeutend. Denn die rosarote Brille trügt nicht. Alles ist verzeihbar. Zur Liebe gehören Schmerz, Angst und ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Sonst wäre es ja keine „echte Liebe“.
Rote Flaggen, überall!
Dass es genau solche Narrative sind, die Frauen (und natürlich auch Männer) dazu verleiten, in emotionalen und physischen Gewaltbeziehungen zu bleiben, versuchen Sandra Günther und Ruth Marquardt in ihrem Buch „Wenn Liebe toxisch wird“ zu vermitteln. Nicht alle dieser Beziehungen werden von außen als toxisch wahrgenommen. Ein klarer Hinweis sind aber körperlicher und sexueller Missbrauch. Doch in der Realität bemerken die wenigsten Betroffenen überhaupt, dass sie sich in einer toxischen Beziehung befinden.
Wenn er dich auf Händen trägt
„Das toxische Gift schleicht sich in verschiedenen Varianten in das Beziehungsleben“, so Marquardt, „die Anzeichen übersehen wir oft“. Eine Auseinandersetzung mit diesen Warnsignalen, auch rote Flaggen genannt, sei deshalb so wichtig, damit der Kreislauf einer toxischen Beziehung möglichst früh unterbrochen werden kann. Der Beginn toxischer Beziehungen wird oft als „Himmel auf Erden“ beschrieben. Komplimente über Komplimente, Geschenke, Anhimmelungen. Er ist charmant, tut alles für dich. Was viele als Romantik missinterpretieren, nennen Marquardt und Günther „Love bombing“. In dieser Phase werden Betroffene emotional abhängig gemacht und merken es nicht. Nicht immer entwickelt sich aus Love bombing gleich eine toxische Liebe. Doch wenn noch weitere Anzeichen dazu kommen, dann gilt es, aufmerksam zu sein.
Eines dieser Anzeichen ist, dass plötzlich alles ganz schnell geht. Kaum habt ihr euch kennengelernt, da seht ihr euch praktisch Tag und Nacht. „Es geht von Null auf Hundert. Wie im Märchen“, sagen Marquardt und Günther. Doch, meist ganz plötzlich, bekommen die Rosen Dornen und die Schmetterlinge im Bauch werden zu Magenkrämpfen. Der erste Streit. Der Anlass eine Kleinigkeit. Dann wird er kontrollierend. Möchte nicht, dass du dich mit anderen triffst. „Du hörst Sätze wie: Antworte einfach auf meine Frage“, wissen Marquardt und Günther aus ihrer Erfahrung als Familienberaterin und Anwältin.
Wenn dein Partner immer Recht haben will
Streitigkeiten kommen in jeder Beziehung vor. In einer toxischen Beziehung gibt es danach jedoch kein Schlichtungsgespräch und keine Entschuldigung. „Selbstreflexion – Fehlanzeige. Der toxische Partner hat immer Recht“, wissen die beiden Buchautorinnen.
Bezeichnend für eine toxische Beziehung ist oft das schnelle Hin und Her. Love bombing folgt auf Streit und der wiederum auf emotionale Kälte. Dann wieder schwebt ihr auf Wolke sieben, er überhäuft dich mit Geschenken. Er versucht dich zu kontrollieren, dich von allen anderen abzuschotten. Die Folge, so Marquardt und Günther: „Du fühlst dich abhängig von deinem Partner. […] Obwohl es dir schlecht geht, wirst du bei ihm bleiben. Deine Abhängigkeit ist wie die eines Alkoholikers: Jeder noch so kleine Schluck kann dich wieder an die Flasche bringen.“
Eine Abhängigkeit, die krank macht
Eine toxische Beziehung kann sich anfühlen wie Schicksal. „Wir sind einfach füreinander bestimmt. Egal wie oft wir uns trennen, am Ende kommen wir doch wieder zusammen“, ist ein Satz, den viele Betroffene von sich kennen. Ein endgültiger Ausstieg aus einer solchen herabwürdigenden Beziehung scheint Betroffenen unerreichbar. Doch das Motto von Marquardt und Günther lautet: „Du willst? Du kannst!“ Toxische Beziehungsabläufe sind für die beiden Expertinnen eine Art psychologisches Spiel, das es zu durchschauen und abzubrechen gilt.
Du willst? Du kannst!
„In jedem Fall liegt der Schlüssel aus deinem Gefängnis in dir selbst“, schreiben Marquardt und Günther. „Mir ist es passiert“, sagt die Anwältin Sandra Günther. Sie hat selbst eine toxische Liebe erlebt und wurde zum Opfer von Beziehungsgewalt. Der Satz: „Na, du Staranwältin, was willst du jetzt tun? Niemand hört dich hier!“, ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. „Ich habe mich damals geschämt“, gesteht Günther. Das Narrativ, ein guter Job, Beliebtheit und Bildung könnten davor schützen, Opfer einer toxischen Beziehung zu werden, ist leider auch weit verbreitet. Unverständnis und Sprüche wie „Mir würde so etwas nie passieren“ sind deshalb oft die Reaktionen des Umfeldes von Betroffenen. Das führt dazu, dass viele von ihnen die Schuld an einer toxischen oder gar Gewaltbeziehung bei sich suchen. Doch eine Flucht in die Opferrolle nützt keinem. Man kann sich jedoch helfen, aus einer toxischen Beziehung hinauszufinden. „Raus aus der Opferrolle!“, ermutigen Marquardt und Günther.
Zum Weiterlesen: Ruth Marquardt/Sandra Günther, Wenn Liebe toxisch wird, Goldegg Verlag, 22 Euro
Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 2/2023
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