Du bist wunderbar!

Wenn wir lernen, uns selbst zu lieben, fühlen wir uns lebendig und frei. Und dann kann uns nichts mehr erschüttern. Folgen wir also dem Aufruf: Liebe dich selbst! Versuchen Sie es einmal. Der Diplom-Psychologe Robert Betz zeigt, wie es geht.

Wir leben in einer der reichsten Regionen der Welt. Seit über sechzig Jahren haben wir keinen Krieg erlebt, sondern ständig steigenden Wohlstand. Im Außen und im Bereich des Materiellen haben wir viel erreicht, aber im Innern fühlt es sich bei unzähligen Menschen leer, einsam und verzweifelt an. Wir haben uns in ein großes Ungleichgewicht hineingelebt zwischen Innen und Außen, zwischen Haben und Sein, Geist und Materie. Und wir haben vergessen, was der eigentliche Sinn des menschlichen Daseins sein könnte. Dies führt in diesen Jahren mehr und mehr Menschen wieder zurück zur Besinnung auf das Wesentliche, zu sich selbst und zur Liebe, dem zentralen Thema unseres Lebens.
Da der Mensch nicht satt geworden ist an dem scheinbaren Mangelgut „Liebe“, ging er hungrig in die Welt hinaus, um im Außen, meist beim Partner Liebe, Anerkennung und Bestätigung zu suchen. Hungrige, verletzte Kinder in erwachsenen Männern und Frauen suchten sie im Gegenüber. Wir haben die Liebe zur Ware gemacht und uns damit von der wahren Liebe und vom wahren Lieben weit entfernt. Das Leid und Drama in unseren Ehen und Partnerschaften ist vor allem auf eine Ursache zurückzuführen: auf die mangelnde bzw. nicht vorhandene Liebe zu uns selbst. Doch wie sehr sich die meisten Menschen im tiefsten Innern ablehnen, gar hassen, ist ihnen nicht bewusst.

Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben

Um aus diesem Dilemma herauszukommen, darf sich jeder liebevoll sein Verhältnis zu sich selbst als Frau und als Mann anschauen und damit anfangen, es zu verändern. Viele Frauen haben kaum noch Freude am Frau-Sein und an ihrer Weiblichkeit, verurteilen ihren Körper und kreisen mit den Gedanken eines Opfers um sich selbst, indem sie andere – allen voran den Partner und die Eltern – für ihr Schicksal verantwortlich machen. Wenige haben eine Mutter erlebt, die der Kleinen vermittelt hat, dass das Frau-Sein etwas Wunderbares ist, dass sie die Verkörperung von Schönheit und göttlich-weiblicher Weisheit ist und dass sie ein großes Geheimnis in sich trägt. Und kaum ein Mann hat eine Mutter erlebt, die würdigend und ehrend über seinen Vater sprach und ihm Stolz und Würde am Mann-Sein vermittelte.
Da sich unsere Eltern und viele Generationen zuvor nicht selbst liebten, wertschätzten und würdigten, fällt es auch der Wohlstandsgeneration von heute schwer, das eigene Selbst liebend in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen und sich dem Gedanken zu öffnen, dass jeder Mann und jede Frau selbst der mit Abstand wichtigste Mensch in seinem/ihrem Leben ist.
Dabei hat die Selbstliebe mit Egoismus nicht das Geringste zu tun. Selbstliebe ist die Schwester der Nächstenliebe. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ bedeutet, dass es keine Nächstenliebe geben kann in einem Menschen, der sich selbst noch zutiefst verurteilt und voller Scham, Schuld und Minderwertigkeit steckt. Das Lieben und die innere Haltung der Vergebung und die Zurücknahme von Verurteilungen muss immer bei uns selbst anfangen. Wie sollen wir denn sonst unserem Vater oder unserer Mutter die harte Erfahrung einer Kindheit vergeben, in der wir als Kind nicht so geliebt und angenommen wurden, wie wir es verdient haben? Der mit sich und in sich selbst zerstrittene Mensch kann kein Friedensschöpfer und Liebender in dieser Welt sein, sondern er ist ein Konfliktnährer. Deshalb wird ihn jeder nähere Kontakt mit anderen immer wieder auf sich selbst zurückwerfen und ihm schmerzhaft deutlich machen, wo die sich selbst zugefügten Wunden liegen. Die Kriege in der Welt, ebenso wie der Unfrieden in unseren Familien, Firmen und Organisationen, rühren letztlich immer von einem Krieg im einzelnen Menschen her, den er gegen sich selbst führt.

Wenn du dich selbst liebst, lieben dich auch andere

Die Selbstliebe des Menschen beginnt mit der Entscheidung, zu sich selbst ein aktives, bewusstes und liebendes Verhältnis zu entwickeln. Aber dazu wurde niemand von uns in seiner Kindheit oder in der Schule befähigt. Dieser Gedanke allein erscheint manchen geradezu seltsam, weil sie denken, sie seien doch bereits den ganzen Tag mit sich selbst zusammen. Wozu dann also eine aktive und bewusste Beziehung zu sich selbst? Das, was ich in der Tiefe über mich selbst denke, wie ich mit mir selbst spreche und umgehe, wie ich mich selbst behandle – all das strahle ich den ganzen Tag lang in meine Umwelt aus. Der Mensch kann nicht anders, als die Energien seiner Gedanken, Gefühle, Worte und Handlungen ständig in die Welt zu schicken.
Robert Betz
Den ganzen Artikel finden Sie in unsererem Sonderheft 7/2020

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