Ein schwerer Unfall ihres Sohnes stürzte Luca Lauga in eine tiefe Krise. Wie sie auf ihren Wanderungen in Deutschland, Österreich und Patagonien das Geschehene allmählich verarbeitete, erzählt sie hier.
Wandern gehörte schon immer zu mir. Zuerst bin ich als Kind regelmäßig mit meinem Vater und einer kleinen Gruppe Nachbarskinder durch das Nordhessische Mittelgebirge gelaufen, durch den Kellerwald, Burgwald und das südliche Ederbergland. In Sandalen, Faltenröckchen und einer Strickjacke. Wanderschuhe und eine Regenjacke bekam ich erst später. Mit meiner Familie wanderten wir in den Alpen und Pyrenäen, heute bin ich meistens in Argentinien, in Nordpatagonien unterwegs, wo ich die längste Zeit im Jahr lebe. Mit Tomás, unserem jüngeren Sohn habe ich, als er elf war, die Alpen überquert, das verbindet und bleibt unvergesslich. Damals merkte ich schon, wie es mich stärkt und mir guttut. Später bin ich dann viel mit meiner Freundin Carmen gegangen, oft in Nordtirol, auf dem Meraner Höhenweg. In Deutschland fahre ich regelmäßig ins Siebengebirge bei Bonn, das liegt vor meiner Haustüre. Ich gehe auch gerne immer wieder den gleichen Weg und pausiere an der gleichen Stelle. Ich kann nicht genau sagen, warum mir das guttut.
In der Stille bin ich am meisten bei mir
Die Stille kommt, wenn ich gehe. Ich verlasse mein Zuhause und begebe mich auf einen langen Weg, am Niederrhein, in den Alpen oder in Nordpatagonien. Ich gehe bergauf und bergab, bei schönem und schlechtem Wetter, allein oder mit Freunden. Ich tue es, um mich wohlzufühlen, das Gewohnte hinter mir zu lassen, und um etwas anderem Raum zu geben. So vieles geht Zuhause verloren. Beim Gehen in der Natur befreit sich mein Kopf von sinnlosen Ängsten und Sorgen, von immer wieder Gleichgedachtem, vom Getriebensein sich wiederholender Gedankenschleifen, ja manchmal sogar von meiner eigenen Vergangenheit. Mir hat es geholfen, aus Krisen herauszukommen, sie zu bewältigen und sogar zu vergessen.
Gehen half mir, den Schrecken zu verarbeiten
Im Jahre 2014 wäre unser Sohn Matthias bei einem Sturz vom Dach beinahe gestorben. Er kam ins Krankenhaus und verbrachte vier Wochen in einem künstlichen Koma. Er schwebte zwischen Leben und Tod. Ich verbrachte jede Nacht bei ihm. In dieser Zeit ging ich jeden Tag eine Stunde durch die umliegenden Felder. Das half. Es ließ mich gleichmäßig tief atmen und löste mich für einen Moment aus der schmerzenden Verhärtung meiner Muskeln und Gedanken. Das Gehen ließ mich in dieser Zeit den Boden unter meinen Füßen wiederfinden und in eine beruhigende Routine kommen. Einen Fuß vor den anderen zu setzen und das über viele Stunden lang und jeden Tag aufs Neue – das half mir. Es half mir, den Schrecken zu überwinden. So kam ich weiter.
Wer geht, kommt in Bewegung
Wer geht, steht auf und kommt in Bewegung. Beim Gehen beginnt meine Atmung, den Körper zu beruhigen und mein Denken wird allmählich abgelöst von einem bewussten Schauen. Ich sehe die Wolken, die Baumkronen, meinen Weg vor mir und meine Schuhe, wenn ich auf den Boden gucke. Langsam erweitert sich das Schauen zum Wahrnehmen. Ich höre, rieche und fühle am liebsten den Wind auf meiner Haut. Beim Gehen komme ich langsam zur Ruhe, komme ich im Augenblick an. Da hat nichts anderes mehr eine Wirkung auf mich, nur noch das, was mich umgibt: Die Stimmen der Natur, die Macht der Bergwände und das Liebliche einer Blume. Das wahrzunehmen, ist das einzig Wichtige in diesen Momenten…
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bewusster leben 3/2022
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