Familie. Freunde. Erfolg. Gesundheit. Vogelzwitschern. Es gibt so vieles, wofür man dankbar sein kann. Oft wird Dankbarkeit nur als ein schönes Gefühl abgetan. Dabei ist wissenschaftlich bewiesen, dass eine dankbare Haltung positiven Einfluss hat auf Gesundheit, Lebensgefühl und auf das Miteinander. Sabine Langenbach hat die Kraft der Dankbarkeit in einer schweren Lebensphase schätzen gelernt.
Kreißsaal St. Vinzenz-Krankenhaus, Altena. 14. April 1998, gegen 0.50 Uhr. Gerade ist unser zweites Kind auf die Welt gekommen. Ganz schnell. Unkompliziert. „Ein Mädchen!“, ruft die Hebamme, „ein wunderschönes Mädchen!“ Dann liegt Birte auf meinem Bauch. Ein herrliches Gefühl! Aber eins kommt mir in diesem Glücksmoment merkwürdig vor: Sie schaut mich nicht an. Die Augenlider liegen eng aufeinander. Kein Blinzeln. Nichts. Meinem Mann scheint nichts aufzufallen – oder er sagt nur nichts. „Hoffentlich hat sie überhaupt Augen“, schießt es mir durch den Kopf. Sofort schäme ich mich für diesen Gedanken. Was soll schon sein? Bei ihrem Bruder Niklas, nur 16 Monate älter, ist doch auch alles in Ordnung.
Kein Blinzeln. Nichts
Nur ein paar Stunden später erfolgt die routinemäßige Untersuchung durch die Kinderärztin und damit beginnt für uns ein Krankenhaus- und Ärzte-Marathon. Nach vielen Untersuchungen stellt sich heraus, dass mein schamvoller Blitzgedanke im Kreißsaal eine Vorbereitung auf die Diagnose war: Beidseitige Anophthalmie. Das heißt, Birte hat keine Augäpfel. Wie sie sich weiterentwickeln wird, welche Handicaps auf sie zukommen werden, das kann uns zu diesem Zeitpunkt keiner sagen. Dafür gibt es zu unterschiedliche Verläufe, wie ich später erfahre.
Die Frage nach dem „Warum“
Ein Gefühlschaos. Einerseits die Freude über unsere Tochter, andererseits die Sorgen, wie es für sie und uns als Familie weitergehen wird. Auch das „Warum?“ quält mich. Ich überlege, ob ich während der Schwangerschaft irgendwas getan habe, das die Behinderung ausgelöst haben könnte. Das Gedankenkarussell dreht und dreht sich. Bis mein Mann mit einem schlichten Satz den Schwung herausnimmt. Wir liegen schon im Bett. Unsere Birte schlummert friedlich neben uns im Babybett. Ich schaue zu ihr herüber, mein Herz platzt fast vor Liebe und Sorge. Ich flüstere die oft gestellte Frage: „Warum, Gott?“ Darauf sagt mein Mann leise, aber sehr entschieden: „Das Warum-Fragen bringt uns nicht weiter! Wir nehmen es jetzt so an, wie es ist und machen das Beste daraus für Birte, für Niklas, für uns als Familie und als Ehepaar.“
Natürlich, er hat ja so Recht! Bei mir braucht es noch ein paar Tage länger, bis die Worte vom Kopf ins Herz rutschen. Dann merke ich, dass wir allmählich im Alltag ankommen und nicht mehr von dem „Warum?“ ausgebremst werden. In mir breitet sich ein Friede aus, den ich als Christin als liebevolles Geschenk Gottes annehme. Jetzt kann ich die neuen Herausforderungen angehen, habe wieder Hoffnung!
Ein geliebter Gedanke Gottes
Irgendwann kommt mir die Idee, dass ich anstatt auf Defizite zu starren, das in den Blick nehmen will, was Birte schon alles geschafft hat und – noch viel wichtiger – dass sie für mich ein wundervoller, geliebter Gedanke Gottes ist. Keine Behinderung und gar nichts kann daran etwas ändern. Bei der nächsten Gelegenheit probiere ich meine neue Einstellung aus.
Es funktioniert. Statt Frust zu empfinden, bin ich dankbar und stolz auf unsere besondere Tochter. Erst viele Jahre später, als ich mich intensiv mit der Dankbarkeitsforschung beschäftige, wird mir klar, dass mein Blickrichtungswechsel damals ein Wendepunkt für mich war. Hatten bis dahin immer wieder Sorgen und Zukunftsängste meine Lebensfreude getrübt, konnte ich mit dem dankbaren Blick zufriedener und hoffnungsvoller weitergehen.
Dankbarkeit ist mehr als ein Gefühl
Dankbarkeit ist viel mehr als ein schönes, flüchtiges Gefühl. Dankbarkeit kann auch eine überdauernde Lebenseinstellung oder eine Persönlichkeitseigenschaft sein. Das belegen viele wissenschaftliche Studien und Untersuchungen im Bereich der Positiven Psychologie, die in den letzten rund zwanzig Jahren durchgeführt wurden. Menschen mit einer dankbaren Einstellung neigen weniger zu Sorgen und Grübeln und sind resilienter gegenüber Stress. Eine aktuelle Studie zeigt, dass ein mehrwöchiges Dankbarkeitstraining auch depressive Symptome verringern kann. Dieser Effekt hielt bei den Probanden auch noch drei Monate nach dem Training an. Ein mehrwöchiger Einsatz einer Dankbarkeits-App als digitales Dankbarkeits-Tagebuch hat das Potential zur Prävention von psychischen Krankheiten.
Dankbare Menschen leben gesünder
Wissenschaftlich belegt ist auch, dass Dankbarkeit im zwischenmenschlichen Bereich wirksam ist. Wer dankbar ist, fühlt mehr Verbundenheit zu anderen und ist motivierter, andere zu unterstützen. Neid und Dankbarkeit können nicht gemeinsam empfunden werden. Auch die körperliche Gesundheit wird durch das Dankbarsein positiv beeinflusst. Dankbare Menschen haben z. B. eine bessere Schlafqualität und fühlen sich subjektiv gesünder und fitter.
Sabine Langenbach
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