Grüne Wälder, glucksende Bäche, das Läuten der Kuhglocken. Monika Hoeksema nimmt uns mit auf eine kleine Wandertour für die Seele.
Es ist ein Date. Es ist Frühling und ich habe ein Date, für das ich mich richtig aufbrezeln kann. Ski und Schneeschuhe kommen wieder auf den Dachboden, die Wanderstiefel rücken von der zweiten in die erste Reihe. Wanderhose, Mütze, Stöcke, Handschuhe, Sonnenbrille. Es ist ein Date mit dem Specht, den hellgrünen Fichtenknospen, schmelzenden Eisplatten und ihren strebsamen Rinnsalen.
Mein Date mit der Natur
Mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen und der klaren, klirrenden Luft, die den Duft von Holzfeuer bald vergessen hat. Jetzt im Frühjahr pocht das Herz schneller beim Gedanken, wieder loszustiefeln, durch Wälder, entlang glucksender Bäche, begleitet von Kuhglockenläuten. Und es ist nicht nur ein Date mit der Natur – die erste Wanderung und alle danach sind ein Date mit mir selbst.
Wo sonst kommt man besser zu sich, lassen sich Gedanken besser ordnen als in dieser Höhe, die alles, was nicht oder nicht mehr zu einem gehört, weit unten im Tal lässt. Eine Wanderung ist immer eine Reise auch zu sich selbst. Das Bergsteigen reinigt die Seele – und den Kopf. Es stoppt das ewig kreiselnde Gedankenkarussell. Beim Gehen lösen sich mit jedem Schritt Wirres und Unklares, es macht Platz für neue Gedanken, Ideen und Ziele, lässt Wünsche keimen. Aber von vorn:
Gedanken, die ins Tal purzeln
Man müsste mal wieder … denkt man sich oft und denkt dabei ans Radlfahren oder ans Schwimmbad, ans Fitnessstudio, ans Joggen. Ich kenne diese Gedanken, sie sind flüchtig. Da dürfen wir lächelnd nachsichtig mit uns sein, es macht nichts. Jeder leistet jeden Tag so viel, was sollte man da noch alles müssen. Und schon gar nicht auf den Berg. Ich habe zwar gut reden, ich hocke mitten drauf. Wenn ich ins Tal gehe, bin ich immer noch auf 1.100 Meter Höhe. Aber dahin gehe ich nie. Ich geh immer nur rauf.
Und dann hast du diesen Wow-Moment
Würde ich am Meer leben, es wäre womöglich das gleiche in Blau. Wahrscheinlich würde ich mir auch dort „meine Runde“ suchen und die Gedanken hätten eben die Weite, in die ich sie schicken kann, jedenfalls die lästigen, immer gleichen wenig konstruktiven. So lasse ich meine ins Tal purzeln oder lasse sie gleich da unten. Atme die klare Luft und mit ihr die Gerüche von Moos und Erde, Tau und Frühling ein, und mit ihnen sprudelnde Klarheit, reinigend. Ich bleibe stehen und versuche, eins zu werden mit dem Berg, wie der Baum rechts neben mir. Der denkt nicht groß nach. Er steht da, trotzt Schnee und Sturm, Regen und Höhensonne, trinkt aus der Erde, verwurzelt mit dem Berg. Anfangs war es immer nur ein Spaziergang, abends, nochmal vors Haus, vom Tag Abstand gewinnen, die ersten Sterne begrüßen in der blauen Stunde.
Allmählich wurde aus einem Spaziergang ein längerer, die Neugier kam und die Frage, wie es wohl weiter oben aussieht und ach ja, tatsächlich, da gibt’s eine Jausenstation? Es heißt ja, man brauche Ziele, um seinem Leben einen Sinn zu geben. Gar nicht immer einfach. Wer kennt nicht die Phasen, in denen man einfach nur froh ist zu überstehen. Wer braucht da groß Ziele. Manchmal sind wir auch nur dankbar, wieder einen Tag geschafft zu haben. Aber wir haben überlebt, that’s it!
Immer weiter, immer höher
Und dann kommen sie doch. Nach dem großen inneren Berg – erst kleine Ziele, ganz automatisch. Ein erstes kleines Wagnis wieder. Wie im Alltag. Der eine schwärmt von dieser Wanderung, jener von einer anderen. Und so führt auch dich der Weg immer weiter, immer höher, entlang von letzten winterlichen Eisfeldern und über Geröll zu glitzernd klaren Gletscherseen. Und auf einmal hast du diesen Wow-Moment! Der dich sprachlos macht beim Anblick auf unzählige Berggipfel und vielleicht Wolken, weitere Seen, so viel Grün und Blau und Gelb und du weißt – das ist es wert! Doch während du dich da hochschraubst, bist du dir nicht mehr sicher. Ich jedenfalls nicht.
Monika Hoeksema
Zum Weiterlesen: Monika Hoeksema, Gipfelglück Wie du entspannt und gelassen Gipfel erklimmst und dadurch deine eigene Stärke erkennst, Styria Verlag, 25 Euro
Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 2/2024
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