Achtsamkeit mit jedem Bissen

Oft glauben wir, dass uns keine Zeit fürs Essen bleibt – dabei sind nur kleine Anpassungen im Alltag nötig, um durch einen bewussten Genuss unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden zu stärken.

Stell dir vor, du beißt in eine saftige Nektarine: Der frische, süße Geschmack breitet sich in deinem Mund aus, während die leichte Säure angenehm auf deiner Zunge prickelt. Du kaust langsam und spürst, wie sich die Aromen entfalten und dein Körper genährt wird. Alles andere tritt in den Hintergrund – deine Gedanken, der Alltagstrubel und deine To-do-Listen. Doch mal ehrlich: Eine solche Art des achtsamen Essens bleibt allzu oft auf der Strecke, da wir uns selten die Zeit nehmen, um wirklich bewusst zu genießen. Schnell greifen wir zu Lebensmitteln, ohne kurz mal darüber nachzudenken, ob sie uns wirklich guttun und nähren. Und oft lenken wir uns nebenbei ab, indem wir eine Zeitung lesen oder durch das Smartphone scrollen.

Bewusst genießen

Essen ist weit mehr als nur eine simple Notwendigkeit, den Körper mit Energie zu versorgen. Beim Essen haben wir die Möglichkeit, uns mit uns selbst zu verbinden, unseren Körper zu spüren und unsere Bedürfnisse zu erkennen. Achtsam zu essen bedeutet, den Moment voll auszukosten – vom ersten Bissen bis zum letzten. Es geht darum, die Sinne zu schärfen, die Vielfalt der Aromen wahrzunehmen und zu spüren, welche Lebensmittel uns wirklich guttun. Indem wir unser Essen bewusster wahrnehmen, können wir nicht nur unsere körperliche Gesundheit fördern, sondern auch unser emotionales Wohlbefinden stärken.

Yoga unterstützt das Körperbewusstsein

Für mich war es ein langer Weg, bis ich zu einem achtsamen Essverhalten gefunden habe. Früher gab es bei mir weder geregelte Mahlzeiten noch habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, wo meine Lebensmittel überhaupt herkommen. Wenn ich gestresst war, griff ich meist zu Süßigkeiten oder holte mir ein belegtes Brötchen vom Bäcker, das ich hastig auf dem Weg zum nächsten Termin verschlang. Gerne gegessen habe ich schon immer – doch ich habe mich lange nicht richtig genährt gefühlt. Ich hatte selten das Gefühl, dass ein Essen mich vollständig sättigt oder meinem Körper auf eine tiefere Weise guttut.

Die Veränderung kam, als ich allgemein achtsamer mit mir umging. Durch Meditation und meine regelmäßige Yogapraxis lernte ich, einen bewussteren Umgang mit meinem Körper zu pflegen und besser wahrzunehmen, was ich eigentlich brauche. Erst vor Kurzem habe ich eine Bio-Gemüsekiste abonniert, die mich wöchentlich mit frischen, saisonalen Zutaten versorgt. Auch diese Umstellung hat mir geholfen, meine Mahlzeiten achtsamer zu gestalten und die Qualität sowie den Ursprung meiner Nahrung mehr wertzuschätzen.

Langsamer und mit mehr Genuss essen

Dass Essen weitaus mehr ist als reine Kalorienzufuhr, weiß auch der Psychiater und Ernährungsexperte Gregor Hasler. In seinem Buch „Was uns wirklich nährt” zeigt er, wie wir unser Essen durch kleine Maßnahmen wieder zu einer Quelle von Energie, Gesundheit und Genuss gestalten können. Achtsames Essen ist laut Hasler „die Voraussetzung, die Ganzheit der Nahrung wahrzunehmen.“

Das kurzfristige Ziel des achtsamen Essens lautet: langsamer und mit mehr Genuss essen. Dazu sollten wir jeden Tag so planen, dass es genügend Zeit für achtsames Essen gibt. Viel Aufwand braucht es dazu nicht. „Eine gewisse Entspannung und eine Unterbrechung der Arbeit schaffen gute Voraussetzungen für Achtsamkeit beim Essen“, so Hasler. Dabei genügen schon zwanzig Minuten, aber auch zehn Minuten sind viel besser, als am Telefon, am Computer oder im Gehen zu essen. „Die Tragödie der Ablenkung besteht in dem Irrglauben, dass sich die interessanten Dinge außerhalb von uns vollziehen. Dabei geschieht das Spannendste in uns selbst,“ so Gregor Hasler. Um Achtsamkeit beim Essen zu entwickeln, sollten wir ganz normal essen, jedoch mit dem Wissen, dass wir essen.

Ich esse jetzt ganz bewusst ein Sandwich

Ein guter Anfang für achtsames Essen besteht darin, das Essen zunächst für einige Momente lang ruhig zu betrachten und zu riechen. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise denken wir beim Essen nicht an Nahrungsaufnahme, sondern an unsere To-do-Liste. Bei jeder Mahlzeit sollten wir uns innerlich sagen: „Ich esse jetzt“, anstatt unsere Gedanken abschweifen zu lassen. Wenn wir beispielsweise ein Sandwich achtsam essen, dann sollten wir denken: „Ich esse jetzt ein Sandwich.“

Thich Nhat Hanh und die Kunst des achtsamen Essen

Auch der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh ist vom achtsamen Essen überzeugt und lehrt deshalb ganz praktisch, ein Stück Brot in der Hand zu halten, und dieses einfach nur zu betrachten und dabei zu spüren, dass in diesem Stück Brot der ganze Kosmos ist: die Erde, der Sonnenschein, die Bauern, die Bäcker, alle Menschen. Dann empfiehlt er, den Brotgeruch einzuatmen, um zu erleben, dass das Stück Brot nichts weniger als ein Wunder ist. Erst wenn man das erkannt hat und entsprechend beglückt schmunzelt, sollte man das Brot in den Mund nehmen. Beim Kauen des Brotes solle man dann nichts anderes tun, als Brot zu kauen.
Miriam Stropel

Zum Weiterlesen:
Gregor Hasler, Was uns wirklich nährt, Arkana Verlag

Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 6/2024

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