Ungeduld, Hektik und Überforderung lauern im Alltag überall. Nicht jedem fällt es da leicht, gelassen zu bleiben. Wer aber mit einer entspannten Haltung an die Dinge rangeht, kann viel besser mit ihnen umgehen. Das Schöne: Gelassenheit lernen – das geht.
Wer wünscht sich nicht: inmitten des größten Chaos gelassen zu bleiben? Gern malen wir uns aus, wie wir souverän sämtliche Klippen des Alltags umschiffen, ohne jemals aus der Haut zu fahren oder zu verzweifeln. Doch oft genug bleibt es beim Wünschen und Denken. Das nasse Wetter und den Schienenersatzverkehr nehmen wir vielleicht noch stoisch in Kauf, doch spätestens nach der schnippischen Bemerkung der Kollegin ist es vorbei mit der inneren Ruhe. Dann geben die einen der aufgestauten Wut freie Bahn, andere ziehen sich verletzt zurück oder verstummen. Wieder andere errichten eine Schutzmauer und lassen nichts mehr an sich heran. Stets wiederholen wir dasselbe Muster und hoffen, beim nächsten Mal aber nicht mehr in dieselbe Falle zu tappen.
Denken wie ein Buddha
Wir wissen nur zu gut um die konkreten Vorteile gelassenen Handelns, den Weg dorthin kennen wir aber nicht. Dies mag auch an einem Mangel an Vorbildern liegen, weil in Politik, Gesellschaft und Medien der Trend in Richtung Konfrontation und Zuspitzung geht. Weder intellektuelle Einsicht noch heftiges Wünschen werden zu mehr Gelassenheit führen. Sie ist eine Kunst, die erforscht, erlernt und geübt werden will. Zur Königin der Gelassenheit können wir uns genauso wenig wünschen oder denken wie zur Geigenvirtuosin.
Wenn wir wirklich lernen wollen, gelassener zu leben, brauchen wir Hintergrundwissen und Praxis. Die Autorin und buddhistische Meditationslehrerin Sylvia Wetzel weiß aus ihrer jahrelangen Beschäftigung mit dem Thema, dass es einer realistischen Haltung dem Leben gegenüber bedarf, um tiefen Gleichmut und heitere Gelassenheit zu entwickeln. „Der Buddhismus spricht von immer mehr Einsicht in die Gesetze des Lebens, gemeint sind damit die drei Daseinsmerkmale: Leiden, Unbeständigkeit und Unkontrollierbarkeit.“ Leiden wahr- und anzunehmen ist keine leichte Übung, schon gar nicht in einer Zeit, die so großen Wert aufs Immer-gut-drauf-sein legt. Kein Lebewesen will leiden, und doch kommt Leiden vor. Ein Leben ohne Verluste, Abschiede, Niederlagen, Schmerzen und Trauer gibt es nicht. Wenn wir akzeptieren, dass das Leben stets im Fluss und nie komplett in den Griff zu kriegen ist, ersparen wir uns zusätzliches Leid.
Freundlichkeit, Freude und Mitgefühl
Doch wie können wir vermeiden, bei der nächsten Gelegenheit wieder blindlings alte Muster zu bedienen? Welche inneren Haltungen und Absichten helfen dabei? Statten wir also mal der mannigfaltigen Gelassenheits-Verwandtschaft einen Besuch ab und bringen ein wenig Licht ins Dunkle. „Es gibt aus buddhistischer Sicht keine Gelassenheit und keinen Gleichmut ohne die Unterstützung von Freundlichkeit, Freude und Mitgefühl“, sagt Sylvia Wetzel. Die vier „Geschwister“ tauchen im Idealfall gemeinsam auf und ergänzen einander. „Sie entstehen sozusagen im Viererpack, das heißt nur dann, wenn die anderen drei jeweils im Hintergrund mitschwingen.“
Wer sich diesen Hinweis zu Herzen nimmt, wird nicht in der Sackgasse der Gleichgültigkeit landen. Im Buddhismus gilt sie als nahe Feindin der Gelassenheit. Wir flüchten in Gleichgültigkeit, um uns vor Schmerzen, unangenehmen Gefühlen, Erfahrungen, Konflikten und Situationen zu schützen. Freundlichkeit, Mitgefühl und Freude suchen dabei das Weite. Angst, Ohnmacht und Aggression fühlen sich von ihr angezogen. Nehmen sie überhand, breiten sich Aufregung und Unruhe aus, die fernen Feindinnen. Gelassenheit dagegen ist nicht nur mit diesen wunderbaren Geschwistern gesegnet, sondern mit noch mehr weitverzweigten Verwandten.
Momente des Innehaltens
So pflegen Achtsamkeit und Gelassenheit eine innige Verbindung. Es ist unmöglich, gelassen zu reagieren, wenn wir nicht mitbekommen, was gerade geschieht. Sylvia Wetzel definiert Achtsamkeit so: „Bemerken, was geschieht, und erinnern, was heilt und hilft.“ Der erste Teil weist auf die großartige menschliche Gabe hin, nicht nur sehen, hören, riechen, schmecken, spüren und denken zu können, sondern auch zu bemerken, dass wir dies gerade tun. Der zweite Teil bringt einen anderen Weisheitsaspekt ins Spiel: „Dazu brauchen wir unser Erinnerungsvermögen und die Fähigkeit, zwischen dem, was uns und anderen hilft oder schadet, zu unterscheiden.“ Bemerken allein nützt wenig, wenn wir uns nicht erinnern, welche Gedanken, Worte und Taten jetzt hilfreich sind und welche nicht.
Auch wenn wir keinen blassen Dunst haben, was wir gerade tun oder lassen sollten, macht es einen großen Unterschied, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Übernimmt der Autopilot, ist die Gefahr groß, in Schockstarre oder blinden Aktionismus zu verfallen. Bemerken wir die innere Ohnmacht und geben dem Drang nicht nach, sofort eine Lösung zu finden, entdecken wir den Freiraum zwischen Reiz und Reaktion. „Durch kurze Momente des Innehaltens und vor allem durch eine regelmäßige Praxis der Achtsamkeit können wir eine überraschende Entdeckung machen: Wir bemerken ab und zu, dass Gedanken und heftige Emotionen von allein kommen, aber auch von allein wieder gehen, wenn wir sie nicht festhalten“, so Sylvia Wetzel.
Veronika Schantz
Zum Weiterlesen: Sylvia Wetzel, Gelassenheit, Mut und Zuversicht inmitten von Krisen finden, Patmos Verlag, 16 Euro
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