Männer bekommen schneller richtige Diagnosen und passende Therapien. Ihre Beschwerden und Symptome gelten als Norm. Für Frauen hat das gravierende Konsequenzen. Sie werden von der Medizin noch immer falsch verstanden und schlechter behandelt.
Kommt eine Frau zum Arzt: „Herr Doktor ich leide unter Übelkeit, Erbrechen, Rücken- und Nackenschmerzen, Schlaflosigkeit, Mattigkeit und Atemlosigkeit. Was fehlt mir?“ „Was soll Ihnen denn noch fehlen?“, sagt der Arzt, „Sie haben ja schon alles!“ Dieser schlechte Witz spiegelt leider eine traurige Tendenz in unserem Gesundheitswesen wider.
Frauen sind anders krank
Kommt aber ein Mann zum Arzt, klagt über Brustschmerzen, die links in Oberarm oder Kiefer ausstrahlen, schrillen sofort alle Alarmglocken, und der Patient wird mit Verdacht auf Herzinfarkt unverzüglich in ein Krankenhaus eingewiesen. Brustschmerzen mit linksseitiger Ausstrahlung gelten als typisches Herzinfarkt-Symptom – beim Mann. Die klassisch weiblichen Anzeichen für einen Herzinfarkt wie beispielsweise Übelkeit, Erbrechen, Rücken- und Nackenschmerzen, Schlaflosigkeit, Mattigkeit und Atemlosigkeit „sind nicht gerade die Symptome, die Laien (und auch etliche Ärzte) zuvörderst an Herzbeschwerden denken lassen“, schreibt der Wissenschaftsredakteur und Arzt Werner Bartens. Hierbei handelt es sich um sogenannte „atypische“ Symptome. „Das ist eine ebenso seltsame wie verräterische Bezeichnung, denn für Frauen sind die Beschwerden ja durchaus typisch“, betont der Medizinexperte der Süddeutschen Zeitung.
Tödliche Benachteiligung
Anfang der 90er Jahren veröffentlichte die erfahrene US-Kardiologin Bernadine Healy einen Fachartikel über die tödliche Benachteiligung von weiblichen Herzinfarkt-Patientinnen. Healy zeigte auf, dass Frauen in der Kardiologie nur dann adäquat behandelt wurden, wenn ihre Herzinfarkt-Symptome, denen der Männer ähnelten.
Frauenherzen schlagen anders. Gerade Frauen sollten zu viel und vor allem emotionalen Stress vermeiden. Insbesondere nach den Wechseljahren, wenn der Schutz durch das Hormon Östrogen wegfällt, steigt die Gefahr einer Herzerkrankung.
Leider hat sich daran in den letzten dreißig Jahren wenig geändert, obwohl inzwischen zahlreiche Studien und Erhebungen die systematische Benachteiligung im Medizinbetrieb nachweisen. Frauen mit akuten Herzbeschwerden werden immer noch schlechter behandelt als Männer, betont Bartens in seinem Buch „Gesundheitsrisiko weiblich“: „Die Nachteile umfassen die zeitliche Dauer, die Häufigkeit von therapeutischen Interventionen und die Qualität der Versorgung, weswegen Frauen bei einem Infarkt oder anderen massiven Herzerkrankungen auch schlechtere Überlebenschancen haben als Männer.“
Die Frau – das unbekannte Wesen
Nicht nur in der Kardiologie sind Frauen schlechter gestellt. Die US-Journalistin Maya Dusenbery hat zwei entscheidende Faktoren herausgefiltert, die für die Ungleichbehandlung von Frauen im Medizinbetrieb verantwortlich sind: Erstens klafft nach wie vor eine enorme Wissenslücke, was die Erforschung des weiblichen Körpers anbelangt. Und zweitens gibt es eine große Vertrauenslücke im Arzt-Patientinnen-Verhältnis. Frauen werden bei der Schilderung ihrer Symptome weniger ernst genommen als Männer. Diskriminierung geschieht also aufgrund des biologischen und des sozialen Geschlechts.
„Gender ist zwar ein Modebegriff geworden, doch noch stehen zahlreiche Vorurteile und veraltete Denkmuster dagegen, das biologische wie das soziale Geschlecht selbstverständlich in die Medizin einzubeziehen.”
Werner Bartens
Männerkörper sind die Norm
In der Medizin gilt der Männerkörper als Norm, der Frauenkörper als Abweichung davon. Diese Ungleichbehandlung beginnt bereits im Studium. Obwohl inzwischen die Mehrheit der Studierenden weiblich ist, gibt es im Anatomieunterricht vorwiegend männliche Präparate. Schematische Darstellungen in Lehrbüchern bilden meist den männlichen Körper ab, geht es um allgemeine Symptome und Beschwerden. In der Grundlagenforschung und bei pharmakologischen Studien dominieren männliche Teilnehmer. Und in Arztpraxen oder Krankenhäusern trifft das weibliche Geschlecht oft auf weniger Verständnis und wird langsamer und mit mangelnder Sorgfalt behandelt.
Zum Weiterlesen: Werner Bartens, “Gesundheitsrisiko weiblich”, Heyne Verlag
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