Sei du selbst

Alle anderen gibt es schon. Tatjana Reichhart und Claudia Pusch zeigen, wie wir uns treu bleiben und ein
selbstbestimmtes und authentisches Leben führen können.

Was wäre, wenn Sie wirklich authentisch wären? Würden Sie anderen dann mal so richtig Ihre Meinung sagen? Nicht mehr nach außen hin etwas vortäuschen, was es in Ihrem Inneren gar nicht gibt? Würden Sie gerne mal eine Seite von sich stärker zeigen, die Sie lieber versteckt halten, weil Sie befürchten, sie sei nicht kompatibel genug mit Ihrem Umfeld? Wie wären Sie dann? Mutiger, offensiver, verletzlicher, kreativer, abgegrenzter, lockerer?

Wenn wir uns im falschen Leben befinden

Der Wunsch nach Authentizität kann entstehen, wenn sich der Verdacht einschleicht, sich im falschen Leben zu befinden. Wenn Sie beispielsweise in der Stadt wohnen, obwohl Sie ein Naturmensch sind, sich einer Unternehmenskultur unterordnen müssen, die nicht den eigenen Werten entspricht oder in einer Partnerschaft bleiben, die sie Sie zunehmend unglücklich macht. Es gibt viele Gründe, sich zu verstellen, nicht die oder der zu sein, die oder der man eigentlich ist, Gedanken, Meinungen und Gefühle geheim zu halten, Wünsche nicht zu denken, sich anzupassen. Wir machen das mit, um nicht enttäuscht oder verletzt zu werden, um keine Fehler zu begehen oder ausgegrenzt zu werden.

Authentizität gibt Halt und Sicherheit

Authentisch zu sein ist gerade hoch im Kurs. Die Suche danach beschreibt die Sehnsucht nach etwas, das verlässlich erscheint. In unserer komplexen, digitalen und globalisierten (also postmodernen) Welt, lösen sich bindende Traditionen, Autoritäten, Normen und Werte immer mehr auf. Alles scheint möglich zu sein. Uns stehen vielfältige Lebensentwürfe offen. Doch zu viel Freiheit kann auch verunsichern und lähmen. Wenn alles möglich erscheint, wird ein neuer Halt ersehnt, auf den man sich berufen und an dem man sich festhalten kann. In der Authentizität wird eine kompensierende Sicherheit gesucht – etwas, was echt, real und greifbar ist. Aber wer entscheidet darüber, was wahr, was echt an einer Person ist?

Was zeichnet einen authentischen Menschen aus?

Authentisch zu sein ist ein Ausdruck dessen, wie wir als Individuen unser Leben im Land der unendlichen Möglichkeiten ausfüllen und gestalten wollen, wodurch wir uns selbst eine Kontur verleihen. Ein authentischer ist damit zugleich ein selbstbestimmter Mensch. Er ist weniger darum bemüht, gesellschaftlichen Normen, Rollenerwartungen und Klischees zu entsprechen, als vielmehr mit sich selbst, seinen Werten und Bedürfnissen in Einklang zu sein. Das wiederum hat viele positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. Zahlreiche Studien belegen, dass authentische Menschen über mehr Lebenszufriedenheit und glückliche Beziehungen berichten, über ein höheres Selbstwertgefühl verfügen, weniger anfällig sind für Stress und seltener an Angststörungen oder Depressionen leiden. Wenn wir hingegen bestimmte Facetten in uns ausblenden oder ständig kleinhalten, dann ist das auf Dauer mit einer hohen Kraftanstrengung verbunden, die uns stressanfälliger und unglücklich macht und die zudem psychische Krankheiten begünstigt.

Authentische Menschen sind zufriedener mit ihrem Leben und verfügen über ein höheres Selbst­wert­gefühl

Unser Körper ist uns dabei ein verlässlicher Hinweisgeber. Er spürt schneller als unser Kopf, wenn wir nicht stimmig und authentisch leben. Er meldet uns dann seine Warnzeichen in Form von Schmerzen und Schlafstörungen oder innerer Unruhe – alles Symptome, die rein körperlich nicht erklärbar sind.

Fremdbild versus Selbstbild

Viele Menschen fragen sich zurecht: „Wann bin ich denn authentisch?“. Tatsächlich gibt es einen Unterschied, wann wir uns selbst als authentisch wahrnehmen und wann wir von anderen so beschrieben werden. Generell wird einer Person das Etikett „authentisch“ angesteckt, wenn sie als herzlich, charismatisch, sympathisch und zufrieden wahrgenommen wird. Gleichzeitig gilt ein authentischer Mensch auch als egoistisch und sozial weniger verträglich, weil er selbstbewusst seine Werte und Überzeugungen verfolgt – auch auf die Gefahr hin, kritisiert oder abgelehnt zu werden. Da es sich dabei um Zuschreibungen und Bewertungen von außen handelt, sagen diese Etiketten nichts darüber aus, ob dieser Mensch wirklich herzlich, zufrieden oder egoistisch ist. Es bleibt eine Fremdwahrnehmung, von deren Einfluss wir uns allerdings nicht ganz freimachen können. Nicht authentische Menschen scheinen aber vor allem davon bestimmt zu sein…
Tatjana Reichhart/Claudia Pusch

Zum Weiterlesen: Tatjana Reichhart/Claudia Pusch, Selbstbestimmt, Kösel Verlag
Den ganzen Artikel finden Sie in unserer bewusster leben Ausgabe 1/2023



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