Wie schaffen wir es, auch in turbulenten Zeiten unseren Lebensmut nicht zu verlieren? Die Psychotherapeutin Verena Kast zeigt, was uns tröstet und beflügelt
In der Hoffnung drückt sich das Vertrauen zum Dasein auch in der Zukunft aus. Doch wir müssen eine wesentliche Unterscheidung machen. Hoffnung ist zum einen eine Grund-emotion des Lebendigen. So lange wir leben, sind wir auch von Hoffnung getragen. Wir erleben aber auch eine alltäglichere Hoffnung, die uns zugänglicher ist, uns mehr beschäftigt und die uns auch abhandenkommen kann. Diese kann auch einmal der Hoffnungslosigkeit, der Resignation weichen. Dann schauen wir nicht mehr zuversichtlich in die Zukunft, sondern besorgt – und dennoch leben wir weiter und hoffen untergründig, dass es so schlimm doch nicht sein möge und dass Hoffnung eines Tages wieder möglich wird. Auch gibt es Menschen, von denen man den Eindruck hat, sie seien mehr von Hoffnung getragen als andere, sie blicken vertrauensvoller in die Zukunft. Und andere, die die Hoffnung verloren zu haben scheinen, schöpfen plötzlich wieder Hoffnung – so wie man Wasser schöpfen kann.
So lange wir leben sind wir von Hoffnung getragen
Eine Frau, deren 6-jähriges Kind seit zwei Tagen verschwunden war, war natürlich verzweifelt. Sie beteiligte sich an der Suche, kam auf immer wieder neue Ideen, wo das Kind sein könnte. Dadurch brachte sie eine große Unruhe in die Familie und in den Suchprozess. Erschöpft sank sie schließlich in einen Stuhl, schlief ein paar Minuten, wachte auf und sagte ihrem Partner: „Jetzt schöpfe ich plötzlich wieder Hoffnung.“ Im Nachhinein beschrieb sie diesen Augenblick als etwas ganz Entscheidendes. „Ich wusste, was auch geschieht, es wird wieder gut.“ Und das Kind wurde tatsächlich gefunden. Entscheidend – und auch völlig überraschend war für die Frau der Umschlagspunkt von der Verzweiflung in die Hoffnung, als sie wieder „Hoffnung schöpfte“, ohne dass schon ein äußerer Anlass dazu vorhanden gewesen wäre.
Doch woher kommt die Hoffnung? Dass wir wiederum Hoffnung „schöpfen“, lässt darauf schließen, dass es irgendwo eine Quelle gibt. Eine Fülle, an der wir Anteil haben können und die sich eher einstellt, als wir uns ihrer aktiv bedienen könnten.
Die Hoffnung tröstet und beflügelt uns
Auf dem Tiefpunkt der Krise – so weiß man –, wenn die Angst so sehr überhandzunehmen droht, und alle Zuversicht geschwunden ist, bricht plötzlich Hoffnung auf, wird Hoffnung erfahrbar. Hoffnung als erlebte Hoffnung ist ein Gefühl, das eng mit der Krise verbunden ist. Dieses Geschehen ist vergleichbar mit einem schöpferischen Prozess, in dem plötzlich eine Idee das qualvolle Suchen beendet, ein Einfall uns sofort mit neuer Hoffnung und neuer Energie erfüllt, wird nach der Qual der Krise Hoffnung und damit neue Energie, neue Zuversicht erlebbar.
Sich auf das Gelingen ausrichten
Die Hoffnung tröstet und beflügelt. Wir hoffen immer wieder auf das Bessere und beziehen uns damit auf eine Dimension in der Zukunft, die sich noch nicht abzeichnet. Wir hoffen immer wieder darauf, dass sich vieles bessert: Das Wetter, die politische Weltlage, die Gesundheit eines kranken Menschen, die kriselnde Beziehung, wir hoffen auf glückliche Umstände, vielleicht auf etwas ganz und gar Unerhörtes, Wunderbares. Und wenn wir hoffen, eine Aufgabe zu lösen, dann gehen wir an sie heran, als ob sie auch zu lösen wäre. Wir nehmen das gute Ende im Beginn bereits vorweg.
Verena Kast
Zum Weiterlesen: Verena Kast, Immer wieder neu beginnen, Patmos Verlag
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