Noch Wochen und Monate nach einer Covid-Erkrankung leiden viele Betroffene unter gesundheitlichen Langzeitfolgen. Um welche Symptome es sich dabei handelt und wie man mit Long Covid zurück ins Leben finden kann, das fragen wir die Psychologin und Long-Covid-Betroffene Stefanie Nüßlein und die Internistin Cornelia Ott.
Long Covid ist mittlerweile als eigene Diagnose anerkannt. Sie dient als Sammelbegriff für unterschiedliche Langzeitfolgen mit mehr als 200 unterschiedlichen Symptomen. In Deutschland sind über eine halbe Million Menschen davon betroffen. Viele PsychologInnen und MedizinerInnen müssen sich erst mit dem neuen Krankheitsbild vertraut machen, genauso wie Betroffene und deren Umfeld. Wie man Long Covid erkennen und mit den Folgen am besten umgehen kann, erklären die Buchautorinnen Stefanie Nüßlein und Cornelia Ott:
Was sind die Ursachen für Long Covid?
Ott: Bisher sind die Ursachen noch nicht ausreichend verstanden. Eine Hypothese bezieht sich auf das Immunsystem, das nach der Infektion wahrscheinlich noch nicht wieder zur Ruhe gekommen ist. Dabei scheinen autoimmune Prozesse eine Rolle zu spielen, also die Ausbildung von Antikörpern, die sich gegen den eigenen Körper richten. Andere wissenschaftliche Studien zeigen zum Beispiel die Schädigungen der Gefäßinnenwände sowie eine erhöhte Neigung zu Blutgerinnseln. Aber auch die Fehlbesiedlung des Darms und Störungen der Energieversorgung innerhalb der Zellen könnten die diffusen Beschwerden von Long Covid verursachen.
Was ist das häufigste Symptom?
Die sogenannte Fatigue. Gemeint ist damit ein Zustand, in dem Betroffene sich dauerhaft sehr erschöpft fühlen. Im Gegensatz zur Müdigkeit kommt es bei der Fatigue zu einem Erschöpfungszustand, der sich nicht durch Ruhe oder Schlaf beheben lässt. Kommen zu diesem Erschöpfungszustand Konzentrations- oder Schlafstörungen, Muskel- oder Kopfschmerzen, spricht man von einem postviralen Fatigue-Syndrom.
Wie äußersten sich Ihre Corona-Beschwerden, Frau Nüßlein?
Nüßlein: Etwa drei Monate nach meiner leichten Corona-Infektion bemerkte ich Symptome, die ich zuvor nicht kannte: Zum Beispiel hatte ich immer wieder starke Schmerzen in Brust, Beinen und Gelenken. Außerdem war ich empfindlicher für Umweltreize – vor allem für Geräusche. Ich war sehr stark eingeschränkt und selbst kleine Aufgaben wie Einkaufen gehen oder Arztbesuche waren für mich damals eine echte Herausforderung. Solche Aktivitäten haben mich dann tagelang „ausgeknockt“. Wenn man das nicht selbst erlebt hat, kann man sich das einfach nicht vorstellen.
Was hat Sie am meisten belastet?
Was mich vor allem beunruhigte war, dass die Beschwerden immer schlimmer wurden. Dafür war eines der Hauptsymptome von Long Covid verantwortlich, unter dem sehr viele Betroffene leiden: die sogenannte Belastungsintoleranz. Das bedeutet, dass ein „zu viel“ an Belastung zu einer Verstärkung der Symptome führt – der Gesundheitszustand verschlechtert sich massiv und es kann dann Tage oder sogar Wochen dauern, bis Betroffene sich von diesem Rückschlag wieder erholen. Man spricht hier auch vom sogenannten „Crash“. Ich habe erst mit der Zeit festgestellt, dass ich meine Symptome durch einen achtsamen Umgang mit mir selbst beeinflussen kann.
Wie lassen sich Rückfälle vermeiden?
Das Problem ist, dass man nicht immer unmittelbar in der Situation spürt, dass es gerade zu viel ist. So können Rückfälle erst Tage später auftreten. Dann ist es schwer herauszufinden, was den „Crash“ ausgelöst haben könnte. Vielleicht hat man sich körperlich zu viel zugemutet oder geistig überanstrengt. Oft ist es die Kombination. Zum Beispiel habe ich lange nicht bemerkt, dass ich abends zu spät esse und mein Körper bis dahin schon viel zu sehr geschwächt war oder wie sehr mir Kälte und Hitze zusetzten. Um solche Zusammenhänge zu erkennen, ist es wichtig, seine Aktivitäten und Symptome kontinuierlich nachzuverfolgen. Dabei kann ein Gesundheitstagebuch helfen.
Werden die Auswirkungen von Long Covid unterschätzt?
Für mich war damals wohl das Schwerste, dass mir niemand so richtig sagen konnte, was helfen kann. Das lässt einen richtig verzweifeln. Und irgendwie hatte ich dadurch das Gefühl, dass ich nicht nur die Kontrolle über meinen Körper, sondern auch über mein Leben verloren habe. Es war eine echte Herausforderung, diese belastende Situation auszuhalten. Leider aber ist das Krankheitsbild Long Covid auch nach zwei Jahren Pandemie erst wenig erforscht und die Wartezeit für die Beratung in Spezial-ambulanzen beträgt häufig bis zu sechs Monate, Es gibt auch noch immer keine zugelassenen Therapien oder Medikamente für Long Covid. Das ist für Betroffene sehr frustrierend!
Es gab also keine Hilfe für Sie?
Ja, so klar muss man das sagen. Deswegen habe ich nach unzähligen Telefonaten und wenig hilfreichen Arztterminen beschlossen, meine Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen und angefangen, mich selbst zu trainieren und die Situation anzunehmen. Mein Wissen als Psychologin war dabei genauso hilfreich, wie die Aha-Momente in meinem Krankheitsalltag.
Zum Vertiefen: Stefanie Nüßlein/Cornelia Ott, Mit Long Covid zurück ins Leben. Eine Anleitung für mehr Energie, Gesundheit und Lebensqualität, Südwest Verlag
Stefanie Nüßlein ist Psychologin, zertifizierte Trainerin und Coach. Im Dezember 2020 infizierte sie sich mit Covid-19. Trotz eines milden Verlaufs leidet sie noch heute unter den Langzeitfolgen der Infektion.
Das von ihr entwickelte Selbstcoaching-Programm half ihr zurück ins Leben und soll auch andere darin unterstützen, die
eigene Genesung zu fördern.
stefanie-nuesslein.de
Dr. med. Cornelia Ott ist Fachärztin für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Ernährungs- und Mikronährstoffmedizin. In Ihrer privatärztlichen Sprechstunde ist sie auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten, chronische Entzündungen und unklare Beschwerdebilder spezialisiert. Parallel berät sie Organisationen bei der Förderung von Gesundheit am Arbeitsplatz. In ihren Vorträgen und Workshops geht es ihr vor allem um die Umsetzung. drcorneliaott.de
Atemübungen für zwischendurch
Atemfrequenz senken: Halte für einen Moment inne, atme fünf- bis zehn mal langsam tief durch die Nase ein und durch den Mund vollständig wieder aus. Die Atemfrequenz wird so von circa 14 Zügen pro Minute auf circa sechs Züge reduziert. Zudem erfolgt die Atmung bewusster und tiefer. Dies eignet sich sehr gut, um Pacing zu trainieren, mehr Achtsamkeit zu entwickeln und dein Stresslevel schnell zu senken.
Box-Breathing: Mit dieser Übung kannst du in Akutsituationen dein Stresslevel senken. Dabei stellt man sich ein Quadrat vor, das man während des Atmens abfährt. Jede Phase (Einatmen, Luft anhalten, Ausatmen, Luft anhalten) dauert dabei vier Sekunden. Die vertieften Atemzüge erhöhen die Empfindlichkeit der Barosensoren (Sinneszellen in den Gefäßinnenwänden, die den Druck messen), stimulieren den Vagusnerv und senken so Blutdruck, Herzfrequenz und Stresslevel. Diese Methode wird auch von US-Soldaten angewendet, um in Kampfsituationen Ruhe zu bewahren.
Das ganze Interview und noch mehr Übungen finden Sie in unserer Ausgabe bewusster leben 5/2022
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