Alpakas, Gänse, Schweine, Kühe, Hühner und ein Pony namens Keks. Was auf den ersten Blick wie ein normaler Bauernhof aussieht, ist ein ganz besonderes Projekt: Hier leben ältere Menschen auf dem Bauernhof von Guido Pusch. Christiane Hastrich und Barbara Lueg haben die WG im Westerwald besucht.
Es ist Freitagfrüh. Wind fegt über den Asphalt und wirbelt Staub auf. Der Himmel ist finster, aber wunderschön. Friedvoll und aufwühlend zugleich. Das Wetter spiegelt in etwa unser Gefühl wider an diesem Tag. Am Horizont strecken sich satte Kornfelder in die Weite. Wir schauen nach oben. Zerzauste Wolken treiben rasend Richtung Westen, als gäbe es da hinten etwas zu holen. Die Bäume wanken im Wind. Blätterrauschen setzt den Ton für diesen Moment. Niemand spricht. Wir auch nicht. Die Wucht der Natur zeigt wieder mal ihre ganze Tiefe und öffnet den Blick in die eigene Vergänglichkeit. So könnte eine Geschichte beginnen über Kommen und Gehen, über Wandel und Verlust. Über das Leben. Diese Kostbarkeit, der ewige Kreislauf. Wie es anfängt und irgendwann ausläuft und wie es enden kann. Die Geschichte begann vor Jahrzehnten in einem kleinen Dorf an einem stürmischen Morgen …
Ein Gegenentwurf zum Altenheim
Vor uns marschiert ein Gänsetrupp stoisch seines Wegs, die Hälse stolz und furchtlos in den aufgewühlten Himmel gereckt. So sollten wir ins Alter schreiten. Aufrecht. Angstfrei. Glücklich. Hinter den Gänsen trabt Keks, das braune Pony. Und drei Alpaccas. Sie wissen, wo es langgeht. Das ist offensichtlich. Allesamt, ein eingespieltes Team im täglichen Ritual. Alltag im Dorf. Karl-Heinz zieht sich die Kapuze ins Gesicht und grinst. „Wir gehen bei Wind und Wetter“, sagt er. „Jeden Morgen.“ Der Rentner ist über 90, hochgewachsen und ziemlich fit. Dieser aufgeschlossene Kerl mit dem wettergegerbten Gesicht hat unfassbar viel erlebt, bevor er hier auf diesem Seniorenbauernhof in Marienrachdorf im Westerwald gelandet ist und mit siebzehn Gänsen, einem Pony namens Keks und drei Alpaccas fröhlich spazieren geht. Vor uns schnattern die Gänse ahnungslos und wackeln mit ihren Hintern. Dieser Platz, an dem Karl-Heinz sein zu Hause fand, könnte man als Gegenentwurf zum Altenheim verstehen. Eine Art Pflegebauernhof, eingebettet in sanfte Hügel und Felder. Die Senioren leben hier gemeinsam und kümmern sich um Garten und Tiere. Neun Kühe, sechs Kälber, drei Alpaccas, ein Pony, siebzig Hühner, drei Schweine, siebzehn Gänse, ein Turmfalke, etliche Küken und drei Hofkatzen.
»Wir sind so jung, wie wir uns fühlen und so alt, wie andere uns sehen«
Guido Pusch hat den Hof, auf welchem er seit seiner Kindheit mit Eltern und Großeltern lebte, geerbt. Bauern, seit Generationen, doch die Landwirtschaft wurde rauer und härter und konnte die Familie nicht mehr ernähren. Wir sitzen mit Guido in der guten Stube des Hofs. Robuste Holztische stehen da, mit Macken und Dellen. Die Patina vieler Abende, Erinnerungen, die nachhallen. In der Ecke ein Holzofen. „Wir sind so jung, wie wir uns fühlen und so alt, wie andere uns sehen“, steht auf einer Tafel an der Wand. Dahinter öffnet sich eine wunderbare Küche. Groß, mit breiten Tresen und Arbeitsflächen aus Holz. Viel Platz für Menschen, die hier gemeinsam kochen können. Nicht jeder für sich in seinem Einzel- oder Doppelzimmer. Denn darum geht es hier besonders: ums Gemeinsame. Ums gemeinsame Leben im Alter. Guido Pusch erzählt von den Anfängen, was ihn umtrieb damals.
Gemeinschaft tut gut
Vor etwa 15 Jahren kam ihm in einer langen grübelnden Nacht die zündende Idee. Er wollte die Landwirtschaft, die kaum noch Ertrag brachte, in den Nebenerwerb verlegen und etwas für die Gesellschaft, etwas Sinnvolles tun. Es war eine innere Sehnsucht, die ihn trieb. Seine Oma hatte Pusch etliche Jahre zuvor früh verloren. Es war eine Art Erweckungserlebnis für den damals jungen Mann. Seine Eltern blieben mit ihm, seiner Frau und seinen beiden Kindern auf dem Hof. Die Gemeinschaft tat ihnen sichtbar gut. Das ließ Guido Pusch nachdenklich werden, und die Idee entfachte in ihm. Zwar mochte der Hof nicht mehr genug Ertrag einbringen, aber es gab hier doch etwas, das anderswo rar war: jede Menge Platz. Und den wollte Guido alten Menschen zur Verfügung stellen. Ein Bauernhof, ein gemeinsames Dach für jene, die etwas anderes im Alter suchten: Selbstständigkeit, Geborgenheit, die Kraft der Natur, die Sehnsucht nach Landleben mit Tieren. Und vor allem: ein Zuhause.
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