Wer sie für sich einfordert, hat sie schon verloren. Wer sie empfindet, den beschenkt sie reich. Gedanken über einen eigenwilligen Wert.
„Jetzt bestellen und Dankeschön sichern!“, lese ich in der Werbung für ein regionales Freizeitmagazin. Dankbarkeit taugt anscheinend gut als Werbemittel, denke ich. Besonders wenn sie nicht nur in Worte gekleidet ist, sondern in handfeste Angebote, in diesem Fall in eine Wollmütze und weitere freizeittaugliche Accessoires. „In einer emotional reifen Welt gehen wir nicht mehr wütend aufeinander los oder ergreifen ängstlich die Flucht, sondern sagen dem anderen: ‚Danke, dass Sie meine Wut (oder meine Angst) ausgelöst haben. Jetzt kann ich mich besser um sie kümmern. Dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar.‘“ Mit diesen Worten überrascht mich die Freundin, mit der ich eben noch lauthals über den Behördenfunktionär geschimpft habe, der sie so eiskalt und arrogant abgekanzelt hat. Allein bei der Vorstellung, diesem Herrn auch noch dankbar zu sein, krampft sich mir der Magen zusammen. Meine emotionale Reife lässt offensichtlich sehr zu wünschen übrig.
Dankbarkeit – eine Schuldfrage?
Zwischen diesen Extremen aus berechnender Strategie auf der einen und fernem Ideal auf der anderen Seite will ich mich auf die Suche machen nach der Dankbarkeit und ihrer Kraft. Wir alle haben schon einmal gespürt, wie gut es tut, wenn uns jemand dankbar ist. Aber umgekehrt? Empfinden wir dasselbe uneingeschränkte Wohlgefühl, wenn wir Grund haben, einem anderen dankbar zu sein? Wir sprechen dann davon, dass wir jemandem Dankbarkeit „schulden“. Und aus diesem Schuld-Bewusstsein, das noch bei Aristoteles achtenswertes Merkmal der moralisch höchststehenden Menschen war, ist inzwischen das Schuldgefühl geworden, Kennzeichen von Schwäche und mangelndem Selbstvertrauen, wie wir meinen. Die Dankbarkeit, die uns verbindet, wurde unterwandert von der Scham, die uns voneinander trennt. Aus der befreienden Idee vom Menschen als Individuum wurde der Zwang zur Individualität. Wer sein Leben selbst gestaltet, will (und muss) sich auch selbst gegen die damit verbundenen Risiken absichern. Und wer klug abgesichert ist, der hat einen Anspruch auf die entsprechenden Leistungen. Nur wer nachlässig war, braucht Hilfe. Und nur wer Hilfe braucht, muss dankbar sein. Selber schuld! Ist aus der „Mutter aller Tugenden“ (Cicero) mittlerweile nur noch eine harmlose Höflichkeitsfloskel oder eine wohlkalkulierte Werbestrategie geworden?
Dankbarkeit macht glücklich
Zum Glück nicht ganz. Es gibt sie noch, die aufrichtig empfundene Dankbarkeit. Wir begegnen ihr – ausgerechnet – auf der Suche nach dem Glück. Denn „Dankbarkeit macht glücklich! US-amerikanische Glücksforscher kamen in Studien zu dem Ergebnis, dass es einen Zusammenhang zwischen Dankbarkeit und Glücklichsein gibt. Sie erkannten, dass glückliche Menschen dankbarer sind als unglückliche“, berichtet das Enkelmann-Institut auf business-wissen.de. Wer einem anderen von Herzen dankbar sein kann, weiß, dass alle Individualität ihre Grenzen hat und wir Menschen als soziale Wesen immer die Zuwendung, Anerkennung und Unterstützung anderer Menschen brauchen. Noch weiter geht der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu in seinem Buch „Gott hat einen Traum“. In Südafrika, so sagt er, gelte die Lebensweisheit: „Ein Mensch wird zum Menschen erst durch andere Menschen.“ Wenn ich also neben meiner eigenen Leistung auch anerkennen kann, dass andere mich dabei begleitet, an mich geglaubt und mich unterstützt haben, dann kann ich ihnen auch von Herzen dankbar sein. Nicht aus Schuld, sondern aus Freude, weil sie mein Leben bereichern und ich das ihre.
Die Kraft der Dankbarkeit
Aufrichtig empfunden, entfaltet Dankbarkeit eine geheimnisvolle Kraft. „Wenn Sie die Geschenke, die das Leben Ihnen macht, bewusst schätzen, ganz gleich, wie groß oder klein sie sind, dann schaffen Sie damit die Grundlage für künftige weitere Segnungen,“ schreibt Lisa Nichols. Die amerikanische Motivationstrainerin, bekannt aus dem Buch und dem Film „The Secret“, weist darauf hin, dass es nicht genügt, wenn wir uns das, was wir uns wünschen, nur immer wieder vorstellen. Wichtiger sei, sich bewusst zu machen, welche Träume sich in unserem Leben bereits ganz oder teilweise verwirklicht haben – und dafür dankbar zu sein. „Diese Dankbarkeit festigt in Ihrem Herzen die Erfahrung, dass etwas bereits Wirklichkeit geworden ist, und zieht mehr vom selben an. Dann wissen Sie und wünschen oder hoffen nicht nur, dass Sie sich auf Ihr erwünschtes Ziel zu bewegen.“
Dankbarkeit leben
Dankbarkeit ist nicht angeboren. Wir können sie uns angewöhnen. Nehmen Sie sich dazu 21 Tage lang morgens vor dem Aufstehen ein wenig Zeit und denken Sie an zehn Dinge, für die Sie dankbar sein können. Ob diese Dinge materiell oder ideell sind, groß oder klein, ob sie Ihnen edel oder albern vorkommen, ist egal. Es kann Ihre gemütliche Wohnung ebenso sein wie das freundliche Lächeln der Gemüseverkäuferin, Ihre Beförderung ebenso wie das Vogelzwitschern am Morgen. „Ich bin dankbar für den ersten Stern bei E-Bay“, schreibt jemand in einem Blog über Dankbarkeit. Weil Experten sagen, dass nach 21 Tagen aus einer Übung eine Gewohnheit wird, können Sie so unmerklich Dankbarkeit zu Ihrer Lebenshaltung machen. Vielleicht ergeht es Ihnen dann ja so, wie es eine indianische Weisheit beschreibt: „Danke, indem du singst und tanzt wie es die Sonne und die Sterne am Himmel tun.“
Astrid Ogbeiwi