Warum es weniger auf eine perfekte Selbstdarstellung ankommt als vielmehr darauf, mit sich selbst wohlwollend und freundlich umzugehen.
Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der Käsetheke, haben 200 Gramm bestellt und werden plötzlich gefragt: „Darf´s auch etwas weniger sein?“ Vermutlich würden Sie aus allen Wolken fallen und denken, Sie hätten nicht richtig gehört. So vertraut ist uns die gegenteilige Frage: „Darf‘s auch etwas mehr sein?“
Über die Kunst des Lassens
Könnten wir nicht auch etwas gewinnen, wenn wir uns mehr dem Lassen zuwendeten und uns mit einem Weniger anfreundeten? Verzichten lernen beinhaltet, so paradox es klingen mag, das Versprechen eines Gewinns. Wenn wir aussteigen aus der Hetze des Schneller, Weiter und Mehr, des Vergleichens und Hinterherjagens, entsteht eine neue Freiheit, ein neuer Raum. Beides sind Grundbedingungen des menschlichen Wachsens.
Das Märchen vom „Hans im Glück“ lädt uns zu dieser Sichtweise ein: Hans hat sieben Jahre bei seinen Herren gedient. Sein Meister dankt ihm und entlässt ihn mit einem Stück Gold als Lohn, ein Zeichen dafür, dass Hans rechtschaffen und schwer gearbeitet hatte. Glücklich packt Hans den Goldklumpen in ein Tuch und macht sich auf den Heimweg zu seiner Mutter. Da dieser Goldklumpen offensichtlich ordentlich groß ist, beginnt er ihn schon bald zu drücken, was ein herannahender Reiter bemerkt. Für diesen scheint es ein Leichtes zu sein, Hans von einem Tausch „Gold gegen Pferd“ zu überzeugen.
Sich von unnötigem Ballast befreien
Hans willigt überglücklich und dankbar in diesen Tausch ein und schwingt sich auf das Pferd, um seine Reise fortzusetzen. Zunächst fühlt Hans sich vom Glück begünstigt, und so lässt er das Pferd bald schneller reiten. Da er jedoch wenig vom Reiten versteht, fällt er rasch vom Pferd und landet in einem Graben. Das sieht zufällig ein herannahender Bauer, der Hans zu einem Tausch „Pferd gegen Kuh“ überredet. Nachdem Hans einen Tritt der Kuh kassiert, ist er wiederum heilfroh, dass ein weiterer Bauer bereit ist, die Kuh gegen ein Schwein zu tauschen. So geht es weiter: Hans tauscht das Schwein gegen eine Gans und diese schließlich gegen einen Wetzstein. Als er den Wetzstein am Brunnenrand ablegt, um sich zum Trinken herabzubeugen, fällt ihm der Stein in die Tiefe des Brunnens. Da springt Hans vor Freude auf, kniet sich nieder und dankt Gott unter Tränen, dass er ihm diese Gnade, ihn von dem schweren Stein zu befreien, erwiesen hat. Mit leichtem Herzen und frei von aller Last setzt er den Weg frohgemut zu seiner Mutter nach Hause fort.
Zum Weiterlesen: Christian Firus, „Was wir gewinnen, wenn wir verzichten“, Patmos Verlag, 16 Euro
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